In Tararabumbia defiliert Dmitry Krymovs verrückter Tschechow-Bilder-Reigen am laufenden Band
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(C) Wiener Festwochen
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Bewertung:
Gebannt schauen die Besucher der Halle E im Museumsquertier auf ein großes Portal an der einen Seite eines über 30 Meter langen Laufbandes, an dem sie links und rechts davon aufgereiht sitzen. Aber ein kleiner Junge läuft genau von der anderen Seite her über das Band, stolpert und schüttet einen Kasten mit Karten und bunten Steinen vor sich aus. Mühsam sammelt er die Sachen wieder in sein Kästchen ein und verschwindet...
Und so geht es 75 Minuten lang bei diesem Gastspiel des Theaters Schule für Dramatische Kunst Moskau unter der Leitung von Dmitry Krymov weiter. Der russische Bühnenbildner und Regisseur schüttet in Tararabumbia einen Kasten voller fantastischer Figuren und szenischer Bilder vor uns aus. Diese Träume und Visionen des 60jährigen und aus einer Theaterfamilie stammenden Künstlers drehen sich im weitesten Sinne um die Theaterwelten des russischen Schriftstellers und Dramatikers Anton Tschechow, zu dessen 150. Geburtstag 2010 die Performance in Moskau uraufgeführt wurde, aber auch um Personen und Ereignisse der russisch/sowjetischen Geschichte.
Es handelt sich hier aber keineswegs um einen Zusammenschnitt von Spielszenen aus Tschechow-Stücken, sondern eher um einen assoziativen, bunten und zuweilen tragikomischen Bilder-Reigen, der sich da am laufenden Band vor uns abspult. Am Anfang steht eine vorbeidefilierende Soldatenkapelle aus der Zeit der Drei Schwestern Olga, Mascha und Irina, die sehnsuchtsvoll auf ihre Zeit in Moskau zurückblicken. So überhöht wie die zu dramatischen Ikonen der schwermütigen Melancholie stilisierten Dramenfiguren Tschechows laufen die Frauen auf Stelzen sowie ein ganzer Pulk strohbehüteter Trigorins über das Band. Der vom Leben gelangweilte, die Ruhe des Landes suchende Schriftsteller aus der Möwe tritt als Rudel russischer Sommerfrischler mit Angelruten auf. „Das Leben ist interessant, hell und prall“ schwadronieren sie im Vorbeieilen, der Takt dazu wird auf Eimern geschlagen.
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Tararabumbia gastierte bei den Wiener Festwochen 2014 - Foto (C) Natalia Cheban
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Tararabumbia gastierte bei den Wiener Festwochen 2014 - Foto (C) Natalia Cheban
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Tararabumbia gastierte bei den Wiener Festwochen 2014 - Foto (C) Natalia Cheban
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Die Reisegesellschaft aus dem Kirschgarten erscheint mit Koffern. Onkel Gajew hält seine Ode an den hundertjährigen Schrank und kriecht in ihn hinein. Die drei Schwestern führen ihren Bruder Andrej als große Puppe (ein Ebenbild des Theatermacher Krymov) vor sich her, und Schwägerin Natascha preist ihr Söhnchen Bobik. Ein ironischer Vorbeimarsch von Tschechow-Figuren, wie sie Krymov selbst jahrelang inszenierte, die kaum dass sie am Ende hinter der Tür scherbelnd vom Band fallen, auf der anderen Seite fröhlich Urständ feiern. Als Running Gag ziehen zwei Soldaten immer wieder den soeben im Duell erschossenen Baron von Tusenbach aus den Drei Schwestern, dessen Beine dabei immer länger werden, über das Band.
Breiten Raum gibt Krymov Tschechows Drama Die Möwe. Hier bekommt der Abend seinen dramatischen Höhepunkt. Jungautor Konstantin zerfetzt sein Theatermanuskript, bevor er sich theatralisch im vorbeifahrenden Glaskasten erschießt. Dann rennt er wieder, in seinen Kopfverband verwickelt, hinter seiner angebeteten Schauspieler-Mutter her. Die titelgebende Möwe wird als kreischende Braut mit weißen Schwingen als flatternder Drache mit Jonglierkeulen auf rotem Teppich über das Band geführt. Eine nimmermüde Wandertheatertruppe aus Akrobaten, Gauklern, Schaustellern und auch modernen Breakdancern. Wie zufällig feiert auch in Wien am Samstag Die Möwe im Akademietheater in der Regie von Jan Bosse Premiere. Man wird dabei an Krymov denken.
Nachdenkliche Bilder lässt der Regisseur dann auch mit einem Güterwagen der Geschichte an uns vorbeifahren, aus dessen Innerem der Geist Tschechows entweicht und von einem langen Zug Weißgewandeter zu Grabe getragen wird. Fotos von Tschechow werden an die Gewänder der Vorbeiziehenden projiziert. Eine neue Zeit bricht an. Figuren der sowjetischen Politik, Sport- und Kulturgeschichte wie kühne Flieger, Synchronschwimmerinnen, Matrosen und Budjonnyreiter (der sowjetische Schriftsteller Furmanow) bestimmen nun das Geschehen auf dem Band. Eine Delegation des Bolschoi-Theaters mit roten Aktenmappen und in Tutus hüpft über den Laufsteg. Eine karnevaleske Truppe Venezianer in einer Gondel und auch eine Abordnung aus dem norwegischen Helsingör mit Prinz Hamlet an der Spitze komplettieren die theatrale Repräsentanz der kulturellen Welt Krymovs.
Am Ende kommt die Blaskapelle vom Anfang wieder, nun in den Uniformen der Roten Armee und mit allen der 80 Darstellern in ihren Kostümen, die winkend noch einmal an uns vorüberziehen. Man kann Tararabumbia als sentimentale Liebeserklärung an Tschechow, das Theater oder Mütterchen Russland allgemein sehen. Wenn man Tschechows Dramen nicht so genau kennt, lässt sich der Abend aber auch als ironisch gefärbtes, russisches Geschichts-Defilee interpretieren, an dessen Ende man noch lange nicht in der Gegenwart angekommen ist und bei dem das unaufhörlich immer schneller rauschende Band in eine ungewisse Zukunft weist.
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Stefan Bock - 1. Juni 2014 ID 7869
TARARABUMBIA (Halle E im MuseumsQuartier, 29.05.2014)
Konzept und Inszenierung: Dmitry Krymov
Musik: Alexander Bakshi
Musikalische Leitung: Ljudmila Bakshi
Bühne: Maria Tregubova
Licht: Olga Ravvich
Puppen: Viktor Platonov
Choreografie: Vladimir Belyaykin
Sound: Sergey Alexandrov
Video: Alexander Shaposhnikov
Computer-Support: Sergei Chernyshov
Maske: Anastasiya Mishenkova
Leitung Brass-Band: Armen Pogosyan
Mit Vadim Andreev, Ivan Barakin, Vladimir Belyaikin, Natalia Gorchakova, Maria Gulik, Alexey Gumeniuk, Valery Gurianov, Igor Danilov, Irina Denisova, Vadim Dubrovin, Sophia Yefimova, Oleg Yeliseev, Ivan Yerishev, Nikolay Zhigoulin, Alexander Ignatov, Arkady Kirichenko, Paul Kravets, Vicktoria Kamayeva, Ekaterina Kuzminskaya, Alexander Laptei, Igor Lesov, Maria Lesova, Maxim Maminov, Sergei Melkonyan, Natalia Maslova, Olga Malinina, Varvara Mishina, Oksana Mysina, Varvara Nazarova, Sergei Nazarov, Boris Opletaev, Oleg Ohotnichenko, Vera Romanova, Julia Syomina, Anna Sinyakina, Anastasia Smirnitskaya, Anton Telkov, Irina Teplukhova, Anna Sirotina, Nikita Seledtsov, Mihail Umanets, Maria Chirkova, Vladimir Churkin und Igor Yatsko sowie dem Chor (Svetlana Anistratova, Ludmila Belyavskaya, Nicholas Babich, Anna Bukatina, Dmitry Vlasenko, Elena Gavrilova, Elena Yershova, Gulnara Zakirova, Irina Ivashkina, Konstantin Isayev, Inna Mishenkova, Dmitry Ohrimenko, Pjotr Ostapenko, Olga Penina, Vyacheslav Prikhodkin, Ekaterina Serebrinskaya, Dmitry Chadov, Dmitry Shishliannikov und Anna Yashchenko), den Breakdancern Dmitry Egorov, Alexander Kornilov, Andrey Makarov, Sergey Seryogin und Vilen Syrenov als auch der Brass Band (Hachatur Ambartsumian, Basil Denyushin, Sergey Kryukovtsev, Mikhail Naydin und Dmitry Ryzhov)
Spieltage bei den Wiener Festwochen: 28. - 30. Mai 2014
Eine Produktion des Internationalen Tschechow-Festival, Moskau - Schule für dramatische Kunst Moskau
Weitere Infos siehe auch: http://www.festwochen.at/
Post an Stefan Bock
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