Gas - Plädoyer einer verurteilten Mutter
von Tom Lanoye
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Bewertung:
Die belgische Schauspielerin Fania Sorel spielt die Mutter eines ca. 20jährigen Sohnes, der - lt. Stücktext von Tom Lanoye (geb. 1958 in Sint-Niklaas) - an die 200 Menschenleben auf dem Gewissen hatte, als er (höchstwahrscheinlich irgendwo in Westeuropa) einen Terroranschlag mit explodierendem Giftgas in einer U-Bahn verübte. Unter den Opfern wären auch eine Schulklasse und zig Kleinkinder gewesen. Aber nicht genug damit; im Umfeld dieses Anschlags sollte er vor laufender Kamera einen etwa gleichaltrigen Jugendlichen geköpft haben. Es stockte einem während dieses Kurzberichts der Atem.
Ähnliche (konkrete!) Fälle schlugen in den letzten Jahren und Jahrzehnten - spätestens seit 9/11 - haufenweis' zubuche; und der Autor mochte also schon eine (konkrete) Vorstellung von dem, was er da mittels seines großen Frauenmonologes GAS - PLÄDOYER EINER VERURTEILTEN MUTTER, womit gestern Abend das Theater Bremen im DT gastierte, konstruierte, haben.
Allerdings: Die unsentimental-faktische Schilderung der zwei besagten Einzeltaten wurde erst zum Schluss verhandelt - das, was vorher stattfand, war natürlich und selbstredend viel diekter und verbindlicher, es ging da nämlich "nur noch" um die Mutter des verlor'nen Sohnes und um ihre Selbstentäußerungen NACH dem Wissen des besagten Horrors:
"Sie schaut auch in ihr eigenes Gesicht, wenn sie in seines sieht. Denn sie ist seine Mutter. Sie hat ihn geboren, ihn erzogen, ihn dabei Stück für Stück verloren an eine vernichtende Ideologie. In ihrem Plädoyer nimmt sie nicht Partei für ihn. Vielmehr verteidigt sie sich selbst, ihre Liebe, ihre Trauer. Darf sie überhaupt um ihn trauern? Darf sie ihn noch lieben? Darf sie sich bemühen, ihn zu verstehen? Mit schmerzhafter Offenheit teilt sich die Mutter dem Publikum mit, lässt es teilhaben an ihrem zerstörten Leben. Ist sie eines seiner Opfer oder ist sie als Mutter des Täters Teil seiner Taten? Klar, schroff, unsentimental und mit poetischer Kraft zeichnet Tom Lanoye diese Figur zwischen Abscheu und Zuneigung zu ihrem verlorenen Sohn und schafft ein eindrückliches, sehr persönliches Bild des Terrors."
(Quelle: deutschestheater.de)
Vom bleibenden Geburtserlebnis in der Folge ihres Kaiserschnitts bis zu der polizeilich angeordneten Identifikation der Sohnesleiche spannte sich ein Bogen der sporadisch-episodischen Erinnerungen einer Mutter, die, alleinerziehend, von dem nächsten Menschen ihrer mittelbaren Nähe Dieses oder Jenes unbedingt zu wissen meinte, aber - was sie freilich jetzt und hinterher begriff - wenig bis nichts über ihr eigen Fleisch und Blut erfahren sollte...
Und je mehr der Zuhörer und Zuseher sich in die hochemotionalen Fänge dieser mikrokosmischen Familientragödie 'reinbegab, umso schlagartiger verdichtete sich immer mehr die Frage:
Wo war eigentlich der Vater des besagten Täter-Jungen? Gab es überhaupt dann einen?? Hätte alles das "verhindert" werden können, wenn es einen fürsorglichen Mann - sowohl dann an der Seite der Betroffenen wie ihres Sohns - gegeben hätte???
Die Verlierer sind zumeist auch die Verlassenen.
Zwingend gespielt.
Total berührend.
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Fania Sorel in GAS von Tom Lanoye am Theater Bremen | Foto (C) Jörg Landsberg
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Andre Sokolowski - 14. Juni 2018 ID 10755
GAS. PLÄDOYER EINER VERURTEILTEN MUTTER (DT-Box, 13.06.2018)
Regie: Alize Zandwijk
Ausstattung: Nadine Geyersbach
Licht: Christopher Moos
Dramaturgie: Simone Sterr
Mit: Fania Dorel
DSE am Theater Bremen: 5. Mai 2017
Gastspiel des Theater Bremen zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/
http://www.andre-sokolowski.de
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