Gutmenschen
von Yael Ronen und Ensemble
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Bewertung:
Das dritte Wiener Gastspiel bei den AUTORENTHEATERTAGEN im Deutschen Theater bringt eine alte Bekannte nach Berlin. Yael Ronen, eigentlich hier am Maxim Gorki Theater beheimatet, ist längst nicht nur in Berlin und München (mit Point Of No Return bei den ATT 2017) erfolgreich zu Gange, auch in Graz und Wien ist die aus israelische Regisseurin mit ihren Stückentwicklungen zum beliebten Migrationsexportschlager geworden. Nach Lost and Found ist Gutmenschen ihre zweite Arbeit am Wiener Volkstheater. Eine Fortsetzungsgeschichte um den Iraker Yousif Ahmad, der vor schiitischen Milizen nach Österreich floh und dort Asyl beantragte. Mittlerweile ist er gut in die kreative Patchwork-Familie seiner Cousine Maryam (Birgit Stöger) integriert, bringt ihrer dreijährigen Tochter Delete Arabisch bei und liest österreichischen Pensionären im Altenheim Prosawerke des Österreichhassers Thomas Bernhard vor. Als neues Projekt hat sich die Videobloggerin Maryam den Salzburger Energydrink-Mogul mit dem roten Bullen, den auch Wolfgang Menardi ins Zentrum seines Bühnenbilds aus schräg ineinander verschachtelten Zimmergrundrissen gestellt hat, in die eigenen vier Wände geholt. Das zumindest ist der Gag schlechthin. Die Brause-Marke des mit Abstand reichsten Österreichers, Dietrich Mateschitz, veranstaltet eine Daily-Reality-TV-Show namens „Gutmenschen“, in der sich die links-alternative, diverse und queere Hipsterkommune als sogenannte Gutmenschen und wohlmeinende Exoten in roten Sweatshirts dem Mainstream-Publikum, das vor kurzem erst zumeist Kurz und rechtsaußen gewählt hat, zur Schau stellt.
Der Abend kommt aber nicht richtig hoch vom Sofa und den Stühlen, obwohl der auch in Deutschland bestens verkaufte Energydrink bekanntlich Flügel verleiht, die hier an allen Sitzelementen kleben. Man könnte das für den Beginn des Firmen-Sponsering auf Theaterbühnen halten, wenn die Ironie dahinter nicht auch klar sichtbar wäre. Man gibt vor, das verhasste System von innen aufzurollen, indem man gerade nicht mehrheitsfähige Themen zur Primetime in die TV-Haushalte senden möchte, und kocht damit doch auch sein eigenes Ego-Süppchen. Da klingt nebenher auch ein wenig Selbstkritik an zwischen allerlei altbekannten Klischees zur Flüchtlings-, Gender- und Ehe-für-alle-Debatte. Die linke Kreativszene nimmt sich hier selbst auf die Schippe. Linke Protestkultur ist nämlich längst auch zur Pose zwischen Yogakurs, veganem Essen und Political Correctness geworden.
Eine schräge Bühnen-Soap, die „Lindenstraße“ und Off-Boulevard zusammenbringt, vom schwulen Pärchen Moritz (Paul Spittler) und Schnute (Knut Berger), der seinen Samen für Miryam gespendet hat, die mit ihrem Ex Jochen (Jan Thümer) noch einen leicht verstörten Sohn namens Jim Pepe besitzt, über das Pärchen Klara (Katharina Klar) und Elias (Sebastian Klein), das mit ihrer geplanten Ehe die bürgerliche Institution neu besetzen will, aber an den eigenen Vorurteilen und Einstellungen dazu scheitert, bis zu Ute (Jutta Schwarz), der Mutter von Schnute, die hier Volkes Stimme kundtut und für die rechten Vorurteile gegenüber Homosexuellen und Ausländern zuständig ist. Damit man als Quereinsteiger noch mitkommt, werden einem am Anfang vom Mitdramaturgen und Schauspieler Niels Bormann aus dem Off die familiären und sonstigen Personenzusammenhänge per Videoeinspielung erklärt. Auch dass Yousif Ahmad, der in Wien wegen fehlender Arbeitserlaubnis noch wenigsten am Ende für 30 Sekunden als Hauptperson Yousef stumm über die Bühne ging, wegen des laufenden Asylverfahrens nach Berlin gar nicht erst ausreisen durfte, erfährt man.
Um Yousefs abgelehnten Erstantrag um Asyl geht es auch vorrangig in Yael Ronens Stück. Während die Kommune auf die Aufzeichnung der Daily-Soap wartet, debattiert man aufgeregt bei chinesischem Fastfood in Abwesenheit Yousefs über dessen drohende Abschiebung und wie man diese verhindern kann. Dabei wird der Rechtsruck Österreichs vor allem in der restriktiven Asylpolitik und Rechtspraxis deutlich. Ein Thema, das auch in der bundesdeutschen Regierungskoalition gerade vehement diskutiert wird, wobei die bayrische CSU ziemlichen Druck auf Kanzlerin Merkel ausübt. Das macht das Ganze natürlich zusätzlich interessant, aber bis auf hektisches Herausrennen und Wiederhereinkommen bleibt es in der Sitzecke auf der Bühne zumeist recht statisch. Ronen, die sonst gekonnt Fiktion und Realbiografien zu starkem Debatten-Theater verbinden konnte, scheitert hier am fehlenden Biss, auch wenn Katharina Klar mit glockenklarer Stimme in einer neuen Version von Hubert von Goiserns Lied Weit weit weg die österreichischen Rechtswähler So weit weit rechts von mir verortet. Fast schon eine Art Trauma, die hier in die Parabel vom Hasen, der dem Löwen ins Maul springt mündet. Mit Rechten reden und um die verlorene Meinungshoheit kämpfen, oder in Phrasen vor dem schier übermächtigen Feind erstarren, darauf findet auch dieser Abend keine Antwort. Die Ohnmacht über die Leerstelle, die der fehlende Hauptprotagonist reißt, ist dafür symptomatisch.
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Gutmenschen am Volkstheater Wien | Foto (C) Lupi Spuma
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Stefan Bock - 22. Juni 2018 ID 10770
GUTMENSCHEN (Deutsches Theater Berlin, 20.06.2018
Regie: Yael Ronen
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Amit Epstein
Musik: Yaniv Fridel, Ofer (OJ) Shabi
Video: Jan Zischka
Licht: Jennifer Kunis
Dramaturgie: Veronika Maurer und Niels Bormann
Mit: Yousif Ahmad, Knut Berger, Katharina Klar, Sebastian Klein, Jutta Schwarz, Paul Spittler und Birgit Stöger
Uraufführung am Volkstheater Wien: 11. Februar 2018
Gastspiel des Volkstheaters Wien zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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