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jedermann (stirbt)

von Ferdinand Schmalz


Bewertung:    



Die AUTORENTHEATERTAGE am Deutschen Theater Berlin gehen in die zweite Runde. Nach drei Tagen Radar Ost sind nun Gastspiele von deutschsprachigen AutorInnen an der Reihe. Den Anfang machte eine Neufassung von Hugo von Hofmannsthals Jedermann aus der Feder von Ferdinand Schmalz. Der junge österreichische Erfolgsautor und letztjährige Bachmannpreisträger hat das traditionsreiche Salzburger Weihespiel vom Sterben des reichen Mannes im Auftrag des Wiener Burgtheaters „für das 21. Jahrhundert über-, fort- und neugeschrieben“, wie es im Begleittext zu jedermann (stirbt) heißt.

Wird bei Hofmannsthal der reiche Jedermann am Ende noch zum Glauben bekehrt und kann als reuiger Sünder vor den Thron Gottes treten, stirbt er bei Schmalz nur schnöde in Klammern. Jedermann (Markus Hering) ist eine Art Börsenspekulant, der seinen Reichtum aus dem Investieren in Aktien von Coltanminen, Mastviehbetrieben und allem, was heute noch so moralisch und ökologisch nicht besonders angesagt ist, gewonnen hat. Dass Gott da nicht gerade eine große Rolle spielt, ist eh klar. Er ist hier nur der arme Nachbar mit Rauschebart (Oliver Stokowski), der zwar zur Feier eingeladen, doch keinen Alkohol trinkt und sich dazu auch nicht mit Geld bestechen lässt. Eine rechte Spaßbremse also. Nicht so wie die Vettern des Jedermann (Markus Meyer und Sebastian Wendelin), die nach den großen Scheinen gieren und springen, die ihnen Jedermann vor die Nase hält. Nur dessen Mutter (Elisabeth Augustin) frömmelt noch ein wenig, ansonsten wird hier der Mammon angebetet. Als Jedermanns Gute Werke ist Mavie Hörbiger zudem noch Charity-Dame von Welt, die über Abschreibungsmodelle und Steueroasen referiert. Auch Buhlschaft und Tod mit Sense (Barbara Petritsch) sind hier eine Person. Mangels eines guten Gesellen hat Schmalz zum etwas ausgedünnten Dramenstadl dem Jedermann dann eine echte Frau (Katharina Lorenz) hinzugeschrieben.

Das erinnert durchaus auch ein wenig an krachledernes Kasperle- oder Bauerntheater. Regisseur Stefan Bachmann hat den ironischen Grundton von Ferdinand Schmalz gut aufgenommen und doch ganz dezent in seine Uraufführungsinszenierung übertragen. Wir sehen zunächst eine güldene Wand, in die Olaf Altmann, Meister der klaustrophoben Bühnenbildner, eine sich drehende Röhre eingelassen hat. Ein rundes Loch, in das sich das in fleischfarbene Ganzkörperoveralls gekleidete Ensemble zu Beginn zwängt und eine Ouvertüre über den toten Schöpfergott singt. Sven Kaisers Komposition erinnert da stark an Lehrstückmusik von Eisler und Brecht. Später geben alle eine (teuflisch) gute gesellschaft, die mit Teufelshörnchen vor der Wand herumwuselt. In goldenen Kostümen treten dann auch Jedermann oben in seinem tresorartigen Domizil und die anderen Figuren vor der Wand auf. Die Handlung hat Ferdinand Schmalz an Hofmannsthals Stück angelehnt, die Verse aber vom weihemäßigen Pathos entschlackt und in seiner an Metaphern reichen Sprache modernisiert.

Jedermann gibt hier ein Gartenfest. Den Garten säumt ein Zaun, der dem Hausherrn zunehmend durchlässiger scheint. Auch die Flüchtlingskrise ist in Österreich bekanntlich jedermanns Thema. Ein Fest in der Festung, bei dem Jedermann vom armen Nachbarn, den verschuldeten Vettern, Mammon, Tod und Teufel heimgesucht wird und vom Mammon eine Predigt gehalten bekommt, vom fickenden Geld, das sich erzeugt und für das das System selbst gut gefickt sein muss. Schmalz münzt hier die Worte von Benjamin Franklin ("Advice to a young tradesman") über die Zeugungskraft des Geldes und den Geist des Kapitalismus von Schuld und Schuldner um.

Dass dieser einst so potente Jedermann dann doch abtreten muss, wird hier auch zum Lehrstück über die Verdrängung des Tods aus der Gesellschaft. Das schafft mit seinen Aussagen zu Leben und Sterben müssen eine zusätzlich interessante philosophische Metaebene der Spiritualität ins Stück. Bachmann setzt dezent die Bilder dazu. Das Spiel vom Sterben wird nun zum kleinen Totentanz, bei der das Ensemble in Trauerstaat in Zeitlupe über die Bühne geht. Jedermann rennt im Hamsterrad des Lebens, das von Beginn an auch eins vom Sterben ist. Der Tod als letzte Sicherheit. Da wird’s ein bisserl besinnlicher, wenn Jedermann um Aufschub bittet und sich auch hier keiner finden will, der ihn begleitet. Der reiche Mann wird schließlich zum Sündenbock für das Gewissen der anderen.

Als Jesusfigur steht Markus Hering nackt vor der Wand, wenn seine Totenrede gehalten wird. Den frei gewordenen Platz füllen sofort neue Jedermänner und -frauen, die sich wie zu Beginn in der Röhre drängen. Auch wenn es manchem abgedroschen erscheinen mag, und sich einiges durchaus auch schärfer denken ließe, wie der Kapitalismus als alternativloser, nimmer enden wollender Kreislauf, bis morgen dann wieder ein anderer Jedermann stirbt, bis in alle Ewigkeit. Amen.



jedermann (stirbt) am Burgtheater Wien | Foto (C) Georg Soulek

Stefan Bock - 14. Juni 2018
ID 10754
JEDERMANN (STIRBT) | Deutsches Theater Berlin, 12.06.2018
Regie: Stefan Bachmann
Bühnenbild: Olaf Altmann
Kostüme: Esther Geremus
Komposition und musikalische Leitung: Sven Kaiser
Choreographie und Körperarbeit: Sabina Perry
Licht: Friedrich Rom
Dramaturgie: Hans Mrak
Livemusik: Sven Kaiser/Béla Fischer
Mit: Markus Hering, Katharina Lorenz, Elisabeth Augustin, Barbara Petritsch, Markus Meyer, Sebastian Wendelin, Oliver Stokowski und Mavie Hörbiger
Uraufführung am Burgtheater Wien: 23. Februar 2018
Gastspiel des Burgtheaters Wien zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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