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Who Is Happy In Russia?

von Kirill Serebrennikov


Bewertung:    



Eimer mit Wodka, melancholische Gesänge und ein Gruppe Schauspieler auf der Suche nach einem glücklichen Menschen auf der Bühne und im Theaterparkett. Das Deutsche Theater ist fest in russischer Hand. Fast ein Heimspiel für das Moskauer Gogol Center, das auf seiner Gastspielreise durch Europa nach Hamburg nun auch in Berlin angekommen ist. Wie im letzten Jahr stellt das DT seinen AUTORENTHEATERTAGEN, die nächste Woche beginnen, einen "Radar Ost" mit Inszenierungen osteuropäischer TheatermacherInnen aus Russland, der Ukraine, Weißrussland, Tschechien und Ungarn voran. Eröffnet wurde das Wochenende mit dem Stück Who Is Happy In Russia?, einer Arbeit von Kirill Serebrennikov und seinem Gogol Center. Aus dem über ein Jahr andauernden Hausarrest ist der russische Theater- und Film-Regisseur (u.a. Leto) erst kürzlich entlassen worden. Weiterhin droht ihm aber ein Prozess wegen angeblicher Veruntreuung von Subventionsgeldern. Serebrennikov ist im Westen sehr gefragt, und auch am DT soll er, wie man hört, in der nächsten Spielzeit endlich das bereits länger angekündigte Decamerone von Giovanni Boccaccio inszenieren.

*

Die Grundlage für das Stück bildet das über 500seitige Gedicht-Epos Wer lebt glücklich in Russland von Nikolai Nekrasov (1821-1878), ein kritischer Geist seiner Zeit, eine Art Brecht des 19. Jahrhunderts, wie man von ihm sagt. Der Dichter schuf das Werk nach der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861. Den anfänglichen Reformen Alexanders II. (1860–70er Jahre), die von progressiven Adeleigen begrüßt wurden, schlugen aber recht schnell in Enttäuschung um. Den freien Bauern ging es wirklich nicht sehr viel besser als noch zu Zeiten der Leibeigenschaft. Serebrennikov schließt die Vergangenheit mit der russischen Gegenwart kurz. Nekrasovs Bauern sind hier arme Wanderarbeiter, die an einer großen Pipeline vor einer Mauer mit Stacheldraht kampieren. Auch sie diskutieren ihr Schicksal nach Nekrasovs Versen wie in einer Art Fernsehshow, bei der ein Moderator die Leute befragt. Mit Livekamera aufgenommene Gesichter werden an weiße Stellwände projiziert. Aus Metallspinden holt sich das zahlreiche Ensemble immer wieder neue Kostümierungen. Es geht auch richtig zur Sache. Die Faust sitzt locker. Im ersten Teil vor der Pause entwickelt sich so ein sehr dynamisches Spiel, das immer wieder durch russische Lieder und Ansprachen unterbrochen wird.

Nach der ersten von zwei Pausen folgt eine Die trunkene Nacht genannte Choreografie der Männer, die schon in der Pause als elend kostümierte Penner das Publikum belästigten. Begleitet werden sie von einem Musiker an großen Bongotrommeln und russischem A-capella-Gesang der festlich gekleideten Frauen. Die melancholischen Gesänge kontrastieren den sehr körperlichen und schweißtreibenden Tanz der Elendsfiguren, die sich selbst schlagen, in Tonnen rollen oder Figurentürme bilden. Ein starkes Gruppenbild der Hoffnungslosigkeit, das einen nicht kalt lässt.

Der dritte Teil beginnt dann wieder etwas positiver. Das Ensemble geht mit besagtem Wodkaeimer nach glücklichen Menschen im Publikum auf die Suche. Dabei sind sie nicht immer freigiebig. Der Wodka muss sich schon mit etwas Einfallsreichtum verdient werden. So gesehen ist es also nicht nur in Russland einfach, einen glücklichen Menschen zu finden. Nur dass sich die Bedingungen für das persönliche Glück wohl unterscheiden dürften. Dann wird es wieder pessimistischer, wenn Evgenya Dobrovolskaya, eine berühmte Schauspielerin in Russland, wie mir meine russische Sitznachbarin versicherte, den großen Tragödien-Ton anschlägt und als gequälte Arbeiterin von ihrem schlimmen Schicksal berichtet. Die Männer ziehen sich dann immer wieder mit diversen Slogans und Motiven bedruckte T-Shirts über. Die populistischen Heilsversprechungen und -Versprecher gehen nicht aus. Großer Jubel, Beifall und Standing Ovation für das großartige Ensemble.




Who Is Happy In Russia? von Kirill Serebrennikov | (C) Gogol Center Moskau

Stefan Bock - 25. Mai 2019
ID 11435
WHO IS HAPPY IN RUSSIA (Deutsches Theater Berlin, 24.05.2019)
nach einem Gedicht von Nikolai Nekrasov

Regie: Kirill Serebrennikov
Komposition: Ilya Demutsky und Denis Horov
Choreografie Die trunkene Nacht: Anton Adasinsky
Mit: Evgenya Afonskaya, Filipp Avdeev, Irina Bragina, Igor Bychkov, Evgenya Dobrovolskaya, Nikita Elenev, Ivan Fominov, Sergey Galakhov, Alexander Gorchilin, Evgeny Kharitonov, Rita Kron, Georgiy Kudrenko, Nikita Kukushkin, Svetlana Mamresheva, Maria Poezhaeva, Andrey Polyakov, Andrey Rebenkov, Timofey Rebenkov, Evgeny Sangadzhiev, Maria Selezneva, Ekaterina Steblina, Igor Sharoyko, Roman Shmakov, Semen Shteinberg, Irina Teplukhova, Mikhail Troynik, Dmitry Visotskiy und Dmitry Zhuk
Gastspiel des Gogol Center Moskau zu den AUTORENTHEATERTAGEN | RADAR OST 2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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