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Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini Studien)

von René Pollesch


Bewertung:    



Wieder ein wenig Volksbühnenfeeling in Berlin, auch wenn es aus Zürich importiert werden muss. Der dritte Pollesch in dieser Spielzeit am Deutschen Theater. Kathrin Angerer, Martin Wuttke und Marie Rosa Tietjen, die am Berliner Ensemble schon in René Polleschs furiosem Zürcher Stück Bühne frei für Mick Levčik zu sehen war, spielen bei den AUTORENTHEATERTAGEN Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini Studien). Ein Stücktitel ganz nach dem Geschmack René Polleschs. Man kann ihn auch gleich wieder vergessen. Er erinnert entfernt an Bertolt Brechts Gedichtzeile aus der Maßnahme: "Ich weiß nicht, was ein Mensch ist / Ich kenne nur seinen Preis." Das "Manzini" ist ein Berliner Promi-Restaurant, ein Ort, wo Preise keine Rolle spielen, es sei denn, man hat welche bekommen. Ansonsten hat der Titel kaum etwas mit dem Stückinhalt zu tun. Wer Black Maria, den letzten Pollesch am DT gesehen hat, dem wird aber sicher einiges bekannt vorkommen.

Es dreht sich wieder um den Knacks und den Anschlussfehler im Film, nur geht es hier nicht so sehr um das Metier Kino, wie im Berliner Stück über das "Black Maria" genannte Filmstudio. Der Knacks ist hier kein oberflächlicher, er geht tiefer. Zumindest behaupten das die drei Pollesch-Parlöre. Vor der Bühne, die ein mit Glühlampen besetztes Portal mit gestreiftem Vorhang zeigt, verhandeln sie die drei großen Themen: „Der Knacks, das Drama, der Terror“. Sie behaupten aus einer sechsstündigen Sommernachtstraum-Aufführung zu kommen, können sich aber an den Abend nicht mehr im Detail erinnern. War da überhaupt was? Da fehlt offensichtlich ein Stück Film oder Anschluss, selbst bei den Besuchern der Aufführung. Natürlich ist das auch eine Anspielung auf den Regisseur Kirill Serebrennikow (Who is happy in Russia?), dem in Russland vorgeworfen wird, Subventionsgelder für einen nicht stattgefundenen Sommernachtstraum veruntreut zu haben.

Und so kommt man ins Philosophieren über besagten Knacks, der ja nicht nur ein Sprung in der Schüssel sein kann, sondern auch das Unvollkommene im Menschen darstellt. Der Mensch, die ewige Baustelle, das ganze Leben eine Werkstatt. „Im Grund ist alles Leben ein Prozess des Niedergangs“ nach F. Scott Fitzgerald. Das ganze Leben ein zerstörerisches Unternehmen gemäß Gilles Deluze. Drei potentielle Terrorzellen am Werk, da braucht es einfach auch mal einen guten Ausgang, wie Martin Wuttke findet. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, immer fehlt einem irgendwo der Anschluss. Wie im Film, wo nach einem falschen Schnitt die Zigarette wieder länger ist als in der Szene vorher. René Pollesch verknüpft hier geschickt technische Begriffe aus der Filmsprache mit lebensphilosophischen Gedankenspielen. Es geht um die Liebe, das Festhalten und Loslassen sowie den Zwang, Misserfolge und schmerzhafte Erlebnisse zu wiederholen. Dazu schwebt eine große King-Kong-Gorilla-Hand vom Bühnenhimmel herab, in der es sich die drei zum Diskurs bequem machen.

Referenzen sind hier mal wieder Donna Haraway, Sigmund Freud, weitere theoretische Schriften von Brigitte Kuster und Andreas Reckwitz, der Film Max Mon Amour von Nagisa Ōshima sowie die schon erwähnten F. Scott Fitzgerald und Gilles Deluze mit Der Knacks, Porzellan und Vulkan. Neben glänzendem Wortwitz wird hier aber auch der Slapstick ganz groß geschrieben. In und mit der Affen-Hand lässt sich wunderbar spielen, turnen und wie Kathrin Angerer flirten oder wie Martin Wuttke eine möglichst unbequeme Schlafstellung suchen. Das Pollesch-Team wechselt die Kostüme, lässt sich zur Belustigung des Publikums hinterm Vorhang Bärte ankleben und Perücken aufsetzen. Die Krise der Repräsentation ist ja eines der Steckenpferde des René Pollesch. Was Marie Rosa Tietjen zu einem Abgesang auf den Beruf des Regisseurs verleitet. Die wahren Regieideen entstünden eh beim Träumen. Auch kann sich Pollesch erneut einen Seitenhieb auf das „Scheiß“-Lob des Realismus von Bernd Stegemann nicht verkneifen. Dazu fällt der Rückwandvorhang mit Wasserfall herunter.

Interferenzen in der „optischen Politik“ und die Nichtsichtbarkeit des unmarkierten weißen Mannes sind auch wieder Thema. Es wird verkündet: „Wir brauchen eine Strategie der Nichttransparenz.“ oder „Im Theater ist alles, was wir machen zweifelhaft.“ Der Verlust des Begehrens geht einher mit der Angst nichts mehr zu erleben. Das Drama braucht den Knacks, den Konflikt. Ort, Zeit, Ereignis, tätige Handlung - drei Dramaqueens und lebende Anschlussfehler auf der Suche nach einer „Sprache für unausgesprochene Dinge“ und einer neuen Möglichkeit von Theater, das hier so kurzweilig wirkt, auch wenn der Shakespeare’sche Sommernachtstraum irgendwann zum 48 Stunden Albtraum wird. Selbst in der Wiederholungschleife scheint da das Chaos noch lange nicht aufgebraucht zu sein.




Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini Studien) von René Pollesch am Schauspielhaus Zürich | Foto (C) Leonore Blievernicht

Stefan Bock - 5. Juni 2019
ID 11469
ICH WEISS NICHT, WAS EIN ORT IST, ICH KENNE NUR SEINEN PREIS (MANZINI STUDIEN) | Deutsches Theater Berlin, 02.06.2019
Regie: René Pollesch
Bühne: Barbara Steiner
Kostüme: Sabin Fleck
Licht: Markus Keusch
Dramaturgie: Karolin Trachte
Mit: Kathrin Angerer, Marie Rosa Tietjen und Martin Wuttke
Uraufführung am Schauspielhaus Zürich: 14. Dezember 2018
Gastspiel des Schauspielhaus Zürich zu den AUTORENTHEATERTAGEN | RADAR OST 2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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