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Christine

Umpfenbach

recherchierte

DAS OKTOBERFESTATTENTAT
der Münchner Kammerspiele


Bewertung:    



Immer im Mai gibt es zwei für die deutschsprachige Bühnenlandschaft unumgänglich-wichtige Veranstaltungstermine - zum einen ist es das Berliner Theatertreffen, zum anderen sind es die Mülheimer Theatertage; beide erfolgen auf der Grundlage von Vorauswahlen und Entscheidungen von Fachjurys, und immer wieder geben sie (für unbeteiligt Außenstehende, dem Fußvolk sozusagen) Anlass, an den "Urteilen" der Sachverständigen zu zweifeln; doch das alles scheint im Rahmen der mehr oder weniger schon demokratisch ablaufenden Meinungsbildungen nur zu gerecht zu sein; aber egal.

Wegen Corona finden die besagten Festivals - zum wiederholten Male übrigens - nur online statt.

Gestern starteten nun die Streams und Zoom-Sitzungen der inzwischen 46. Mülheimer Theatertage unterm Kürzel STÜCKE 2021.

Außer 9/26 - Das Oktoberfestattentat von Christine Umpfenbach, dem Eröffnungsstück der Münchner Kammerspiele, wird es bis zum Ende der Theatertage Stücktexte von Thomas Freyer, Boris Nikitin, Reinald Goetz, Sibylle Berg, Rebekka Kricheldorf und Ewe Benbenek nachzuvollziehen und zu diskutieren geben; und als Extraservice bietet Mülheim an, dass man sich jedes für den Mülheimer Dramatikerpreis (von den Jurorinnen und Juroren Eva Behrendt, Janis El-Bira, Kathleen Morgeneyer und Marion Tiedtke) nominierte Stück als PDF, also zum Mit- und Nachlesen, herunterladen kann.

*

Das Dokumentarstück um das Münchner "Oktoberfestattentat" am 26. September 1980 ist von der Bühnenbild und Regie in Berlin-Weißensee und London studiert habenden Umpfenbach akribisch recherchiert worden. Fünf Schauspielerinnen und Schauspielern [Namen s.u.] hat sie O-Texte von sechs damals betroffenen und knapp nur mit dem Leben davongekommenen Opfern des Anschlags in den Mund gelegt, außerdem werden Originalaussagen eines Rechtsanwalts und eines Notarztes im Text verarbeitet und zeitgeschichtlich Faktisches als Füllsel repliziert. Und es geht hin und her, und zack-zack-zack; der Spielfluss hat eine gewisse Eile... Letzten Endes soll uns auch so eine Art Geschichtsnachhilfestunde angeboten sein; das war und ist auch völlig legitim - ja, ich (als jemand aus dem Osten) hatte bis soeben nie auch irgendwas übers besagte Attentat erfahren und gewusst:



"Das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 war ein rechtsextremer Terroranschlag am Haupteingang des Oktoberfests in München. Durch die Explosion einer handgefertigten Bombe wurden 13 Personen getötet und 221 verletzt, 68 davon schwer. Der Anschlag ist der bisher schwerste Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Als Täter wurde Gundolf Köhler ermittelt, der selbst bei dem Anschlag starb. Er war Mitglied der neonazistischen Wiking-Jugend und der Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) gewesen. Nach dem Abschlussbericht der Ermittler vom November 1982 plante und verübte Köhler den Anschlag jedoch allein und aus persönlichen Motiven, eventuell als erweiterten Suizid.

Diese Einzeltäterthese wurde seitdem kontinuierlich bestritten. Zeugenaussagen sowie nicht verfolgte Spuren verwiesen auf mögliche rechtsextreme Mittäter. Vom 11. Dezember 2014 bis 7. Juli 2020 ermittelte die Bundesanwaltschaft erneut zu dem Fall und stellte abschließend fest: Die Tat war eindeutig ein rechtsextremer Terrorakt, mit dem Köhler die Bundestagswahl 1980 beeinflussen, dem Kandidaten der Unionsparteien Franz Josef Strauß ins Kanzleramt verhelfen und letztlich einen 'Führerstaat' nach dem Vorbild des NS-Staates erreichen wollte. Anstifter, Mitwisser und Mittäter Köhlers ließen sich weder beweisen noch ausschließen. Fehler der ersten Ermittlungskommission wurden nicht aufgeklärt."


(Quelle: Wikipedia)



9/26 - Das Oktoberfestattentat an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Julian Baumann


Weswegen Umpfenbachs handwerklich (also theatralisch) und v.a. auch didaktisch prima funktionierendes Geschichtsnachhilfestundenpuzzle ausgerechnet dann als eines von den allerbesten STÜCKEN 2021 zur Debatte stand, begründet Stephan Reuter auf der stuecke.de-HP wie folgt:


"Zur Qualität von Christine Umpfenbachs lupenreiner Stückrecherche trägt bei, dass das Ensemble eine schöne Balance zwischen Sachlichkeit und Teilnahme findet. Text und Inszenierung sind zwar auf Empathie aus, aber nie auf Effekte. Auch das himmelschreiende Ermittlungsversagen unter den Augen von CSU-Übervater Franz Josef Strauß belegt das Stück – nüchtern, gründlich, und aus der gerade in ihrer Schlichtheit unanfechtbaren Opfer-Perspektive."


Und das mag und wird wohl auch im Sinne der 2021er Juryentscheidung so okay gewesen sein.

Mein laienhafter Eindruck diesbezüglich ist: Es geht nicht mehr in erster Linie darum, WAS ein Stückeschreiber (mit den Mitteln seiner Sprache) kann, sondern, WIE "es" auf dem Theater funktioniert, ganz unabhängig davon, ob dann echte (autonome!) Stückeschreiber-Stücke überhaupt gefragt oder "gebraucht" würden.


Andre Sokolowski - 14. Mai 2021
ID 12909
9/26 - DAS OKTOBERFESTATTENTAT (Münchner Kammerspiele, 24.10.2020)
Regie: Christine Umpfenbach
Bühne: Evi Bauer
Kostüme: Pascale Martin
Musik: Anton Kaun
Dramaturgie: Harald Wolff
Mit: Marie Dziomber, Rasmus Friedrich, Stefan Merki, Edith Saldanha und Lily-Marie Vogler
Uraufführung an den Münchner Kammerspielen: 24. Oktober 2020
Stream auf stuecke.de v. 13.05.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.stuecke.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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