33. Ausgabe von TANZ IM AUGUST | Berlin vom 6. bis 22. 8. 2021
|
Colette Sadler | Choy Ka Fai
ARK 1 | Postcolonial Spirits
|
|
Der TANZ IM AUGUST geht gerne auch mal andere Wege, fernab ausgetanzter Pfade. Die schottische Choreografin Colette Sadler und der deutsche Filmemacher und Videokünstler Mikko Gaestel haben bereits gemeinsam am Berliner Gorki Theater für das Doku-Theaterstück Futureland von Lola Arias eine Choreografie und computeranimierte Videowelt erschaffen. Ähnliches machen sie auch in ihrer Produktion ARK 1, die jetzt in der St. Elisabeth-Kirche ihre Uraufführung hatte.
Und hier steht nichts Geringeres als die Zukunft des Menschen in Beziehung zur Technologie zur künstlerischen Debatte. Im Grunde aber auch nichts wirklich Neues. Was als immersive Solo-Performance-Installation über eine defekte humanoide Künstliche Intelligenz an Bord eins Raumschiffs, die die gesamten Erinnerungen der Menschheit gespeichert hat, angekündigt wurde, spielt sich im ehemaligen Sakralraum auf einem orientalischen Teppich vor dreiteiligem Split Screen ab. Immersiv ist daran aber höchstens noch die Verbindung der wie ein gestörter Android mit verzerrter Computerstimme sprechenden Tänzerin (Leah Marojevic) auf dem Teppich, deren defekte Datensätze sich in 3D-Computer-Bildern auf den Bildschirmen visualisieren.
Das erschöpft sich in langen 40 Minuten in mechanischen Zuckungen der wie eine Sphinx liegenden Performerin, während auf den Bildschirmen zu sphärischen Klängen computeranimierte Räume eines Museums, kristalline Formengebilde, verschiedene Pflanzen wie Farne und andere synthetische Lebenssysteme erscheinen. Es ist von „artificial life“ (künstliches Leben) und „ars memoriae“ (Gedächtniskunst) die Rede. Die Welt als computergesteuerte Halluzination. Ein in Krisenzeiten nicht uninteressantes Thema, aber als Liveperformance in diesem Rahmen etwas zu sperrig und langatmig.
|
ARK 1 | Videostill by Colette Sadler and Mikko Gaestel
|
*
Ebenfalls hybrid in Videobild und Live-Präsens kommt die Produktion Postcolonial Spirits des singapurischen Berliner Künstlers Choy Ka Fai daher. Choy, der mittlerweile in den Niederlanden lebt, hat sich einerseits den beliebten indonesischen Volkstanz Dolalak vorgenommen und arbeitet nebenbei noch die koloniale Vergangenheit der Niederlande, die vom frühen 17. Jahrhundert bis zu den Unabhängigkeitskriegen von 1945-49 den südostasiatischen Inselstaat unter dem Namen Niederländisch Ostindien kolonisiert hatten. Dazu lässt er den niederländischen Tänzer Vincent Riebeek von seinen Großeltern, die bis in die 1950er Jahre auf Jawa lebten, erzählen und spielt historische Filme zum Thema ein. Riebeek, der ständig vor der Live-Kamera die Kostüme wechselt, wird dabei vom queeren indonesischen Tänzer Andri Kurniawan per Video-Liveschalte aus Jawa unterstützt. Beide tanzen im Split-Screen-Verfahren nebeneinander eine Szene aus dem historischen Ballett Shéhérazade, das 1910 in Paris mit dem Balletts Russes Premiere hatte. Ein Beispiel für den im Westen verbreiteten Orientalismus mit seiner Exotisierung des arabischen und asiatischen Lebensstils.
Traditionell ist der Dolalak ein Ritual, bei dem sich die Tänzer in Trance versetzen und das von Liedern über lokale Mythen, politische Satire und islamische Gedichte begleitet wird. Der Trance-Dance hat mit der Zeit auch durch die Nachahmung niederländischer Kolonialsoldaten eine Popularisierung erfahren. Das Publikum erfährt in den Videofilmen die Geschichte des Tanzes und auch am Beispiel einer lokalen Tanzgruppe, wie sich die Tradition im Wandel der Zeit erhalten haben. Schließlich gibt es noch eine Tanzperformance in traditionellem Kostüm von Vincent Riebeek, der von einem Avatar im Video und einem indonesischen Live-Musiker begleitet wird. Viel Text, viele Informationen und leider etwas zu wenig Tanz für die insgesamt knapp 90minütige Produktion, die mit der modernen medialen Welt von Instagram und TikTok spielt, der es aber an Spannung fehlt.
|
Postcolonial Spirits | (C) Brandon Tay and Choy Ka Fai
|
Stefan Bock - 17. August 2021 ID 13084
ARK 1 (St. Elisabeth-Kirche, 13.08.2021)
Choreografie, Text und künstlerische Leitung: Colette Sadler
Video und Installation: Mikko Gaestel
Performance: Leah Marojevic
3D Animation: Alexander Pannier
Dramaturgische Unterstützung: Alan McKendrick
Kostüme: Colette Sadler und Theo Clinkard
Sound: Samir Kennedy und Heiko Tubbesing
Gastspiel von Colette Sadler mit Mikko Gaestel bei TANZ IM AUUST
Bewertung:
Postcolonial Spirits (HAU1, 17.08.2021)
Konzept, Dokumentation, Erzählung und Regie: Choy Ka Fai
Übersinnliche Präsenz: Raden Mas Sosro
Dramaturgie: Tang Fukuen
Choreografie & Performance: Vincent Riebeek und Andri Kurniawan
Musik & Sound Komposition: Yennu Ariendra
Live Musik Performer: J. Mo'ong Santosa Pribadi
Vocalists: Nova Ruth und Andri Kurniawan
3D Visual Design & Technologie: Brandon Tay
Visual Artist: Sven Gareis / telematique
Licht, Installation und technische Leitung: Ray Tseng
Set Design: Dan Lancea
Requisiten Design: Soy Division
Kostümbild (Berlin): Justyna Gmitrzuk
Kostümschneiderei (Indonesia): Mr.Harjito
Gastspiel von Choy Ka Fai bei TANZ IM AUGUST
Bewertung:
Weitere Infos siehe auch: https://www.tanzimaugust.de/
Post an Stefan Bock
Ballett | Performance | Tanztheater
TANZ IM AUGUST
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|