„Ich kann
dich nicht
greifen“
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Wilhelm Eilers (vorne) und Markus J. Bachmann (hinten) in Liebe et cetera von Emanuel Tandler am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Ob nun Songs, Gedichte oder Filme – kein Sujet hat die Künstler so beflügelt wie die Liebe. Regisseur und Autor Emanuel Tandler erkundet nun in Liebe et cetera an der Bonner Werkstattbühne selbst das wohl höchste der Gefühle. In einem sterilen Setting schafft er eine Art Erprobungsraum für ein Liebestheater der Zweisamkeit mit allerlei unterhaltsamen Friktionen. Obwohl fraglich ist, ob man die Natur der Liebe eigentlich noch erklären muss, wird ihr in Gesten und Worten assoziations- und facettenreich nachgegangen.
Lara Hohmanns Bühnenbild wartet mit allerlei büroähnlichem Equipment auf, wie Aktenregalen oder Umzugskartons. Die vier Akteure tragen einheitlich gelbe Ganzkörperkostüme, wie Forscher in einem Labor. Neben der Sterilität überrascht die Szenerie auch mit ungewöhnlichen Installationen. Auf der linken Seite geben unterschiedlich große Stühle übereinandergestapelt einen Bogendurchgang frei. Dahinter sind unterschiedliche, nicht zueinanderpassende Objekte in einem kunstvollen Ständer eingehängt. Diese Objekte, zu denen auch Salamiwürste zählen, bilden eine Art bunten Strauß. Anfangs widmen sich die Akteure hingebungsvoll den sie umgebenden Objekten. Sie legen Accessoires neu zusammen oder begutachten sie liebevoll.
Bald sprechen sie über Gefühle wie über etwas Abstraktes. Lässt sich die Liebe als Symbol durch einen Zirkelkreis oder eine Linie erfassen? Oder gibt es mehr Bewegung in Beziehungen? Die Figur der Cixous (Sandrine Zenner) singt sichtlich erregt einen Chanson, um den übrigen vorzuführen, dass der Orgasmus oder kleine Tod sich keinem Kreislauf zuordnen lässt. Fortan werden in wechselnden Konstellationen Gefühle spielerisch durchexerziert. Cixous legt nahe, dass Dates ähnlich simpel planbar seien, wie die Dating-App Tinder durch Swipen und Matches glauben macht. Eine der anderen Figuren fragt daraufhin unbedarft, wie Sex ohne Liebe möglich sei. Markus J. Bachmann erzählt in der Rolle des Castor bewegend, wie er sich als Dreizehnjähriger erstmals in einen Jungen verguckte. Die Umstehenden deuten dabei seine Gefühle recht rational, während er auf Rückfragen erstaunlich emotional reagiert.
Das Figurentableau kritisiert, dass die großen Pärchen der Weltgeschichte sich stets aus Männer- und Frauennamen speisen, wodurch schon Kinder heteronormativ geprägt würden. Prompt flirtet Castor offensiv mit Falk (Wilhelm Eilers) und Cixous liegt in den Armen von Solveig (Ursula Grossenbacher). Wenn Falk auf die sich steigernden Avancen Castors eingeht und dessen Jackenreißverschluss öffnet, geht es bereits um den zündenden Funken des Begehrens. Der Reigen dreht sich schnell weiter und prompt ist das nächste Thema die Trennung. Falk trennt sich von Castor mit dem Ausruf „Ich kann dich nicht greifen“. Was macht die Trennung mit dem Verlassenen. Kann Trennung nicht nur Leid verursachen, sondern auch Glück oder gar Gleichgültigkeit zur Folge haben? Schon naht die nächste Paaraufstellung, wenn zwei Ministühle inmitten einer Halbkugel platziert werden und sich sogleich zwei Sitzwütige finden.
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Emanuel Tandlers Stück arbeitet mit Stummfilmsequenzen, die teils nachgestellt werden. Die Figur der Kate Winslet meldet sich über Telefon- und Bildprojektion zu Wort. Sie erklärt, dass sie nicht mehr mit Leonardo di Caprio als Titanic-Filmtraumpaar gehandelt werden möchte. Immerhin hätten sie doch beide mit Revolutionary Road (2009) einen Film gemacht, in dem die Schattenseiten und das Scheitern einer Ehe dargestellt würden. Sie sei sogar bei einer Schwangerschaft fast gestorben. Auch Einblendungen der Vornamen legendärer Liebespaare zeigen das künstlich Inszenierte möglicher Inbegriffe romantischer Paare auf. So wird „Ingeborg + Paul“ für Ingeborg Bachmann und Paul Celan eingeblendet. Gleichzeitig könnte es auch heißen „Ingeborg + Max“ für Max Frisch, mit dem Bachmann eine jahrelange und letztlich traumatische Liebesverbindung pflegte. Oder es wird „Virginia + Leonard“ projiziert für Virginia und Leonard Woolf. Gleichzeitig könnte es heißen „Vita + Virginia“ für Vita Sackeville-West, mit der Virginia bekanntlich eine leidenschaftliche Liaison verband. Witzig wird es, wenn dann bei Zeus neben Hera aber auch bei Madonna neben Guy tatsächlich gleich fünf andere Partnernamen auftauchen.
Ein unterhaltsamer und kurzweiliger Abend über die Sehnsucht, das Prickeln und die Eifersucht zwischen Liebenden, momenthaft garniert übrigens mit Klängen von Paolo Contes „Sparring Partner“, wohl ein Tribut an François Ozons großartigen Liebesfilm 5x2 über verschiedene Stadien einer Liebesbeziehung, indem der Song auch den Soundrack bereichert.
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Liebe et cetera von Emanuel Tandler am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 21. September 2021 ID 13156
LIEBE ET CETERA (Werkstatt, 15.09.2021)
Inszenierung: Emanuel Tandler
Bühne und Kostüme: Lara Hohmann
Licht: Ewa Górecki
Dramaturgie: Male Günther
Besetzung:
Castor … Markus J. Bachmann
Falk … Wilhelm Eilers
Solveig … Ursula Grossenbacher
Cixous … Sandrine Zenner
Uraufführung am Theater Bonn: 11. September 2021
Weitere Termine: 22., 23., 25., 29., 30.9./ 02., 12., 15., 20., 21., 26., 28., 29.10.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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