Göttlich war
vor Google
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Maren Eggert (als Gaia) und Alexander Khuon (als Kronos) in Nele Stuhlers Gaia googelt nicht am Deutschen Theater Berlin | Foto © Arno Declair
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Bewertung:
Bei Google findet man heutzutage alles. Schöpfergleich spuckt die meistgenutzte Suchmaschine die Treffer aus. Über die Maps-Funktion navigiert man sich von Ort zu Ort. Doch so manche vergessen heute, dass Leben und Welt schon vorher da waren, sogar vor der Erfindung des Internets, vor der Erfindung aller Technik. Im Innenhof des Deutschen Theaters lernt man derzeit, dass ganz am Anfang die intuitive Kraft einer Schöpferin stand, Gaia. Große Fragen werden aufgeworfen in dieser Aufführung. Auf diese Fragen dürfte selbst Google keine einfachen Antworten haben.
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Allerlei Requisiten sind auf der ebenerdigen Bühne unter freiem Himmel aufgebahrt, inklusive eines Lastenkrans, der im Stückverlauf auch Verwendung findet. Harald Baumgartner klettert zu Beginn im dunklen Anzug in eine liegende Mülltonne. Das übrige Ensemble tritt in unterschiedlichen einfarbigen Ganzkörperanzügen auf (Kostüme: Henrike Huppertsberg). Die Darsteller formen lustvoll einen Chor der Jasager, bis sich die Figur in der Tonne meldet und ein „Nein“ erwidert. Die Figuren treten auseinander, um bald wieder zusammenzukommen. Denn nun gilt es, die Frage nach dem Anfang zu beantworten. Hat die Welt mit dem Mythos angefangen, mit der Taube oder dem Chaos?
Eine der Figuren meint: „Welt ist Welt hat Welt gesprochen.“ Sie verkörpert die Welt, eine andere Figur den Tag, eine das Licht. Später erleben wir den Mond, die Sonne und das Nichts, noch später Uranos, Kronos und Zeus. So wie der Himmel nie gleich ist, ändern sich auch die Zuordnungen der Figuren in einem stetigen schöpferischen Prozess. Nur Maren Eggert – ganz in Weiß – scheint festgelegt auf die titelgebende Gaia, die Erdenmutter aus der griechischen Mythologie, eine der frühesten Gottheiten. Wir erfahren, dass Gaia in jeder Bewegung, die sie vollführt, schöpferisch tätig ist, auch wenn sie nur einen Pickel ausquetscht. Eggerts herrische Gestik und Mimik ist ein Erlebnis, augenblicklich schnippisch und launisch die Arbeit der sie umgebenden Elemente einfordernd. Sobald sich die Figuren zum Tun ereifern, erscheint sie bewusst erhaben und den irdischen Aufgaben enthoben. Gaia betont gleich zu Anfang, sie sei unvorstellbar müde und sprichwörtlich erschöpft vom gebären, denken, schöpfen.
Gaia und ihr Gefolge unterhalten sich über die Tragweite der unteren Lippen, ihre Vulva oder Schamlippen, die auch zu Fehlschöpfungen wie dem sogenannten Patriarchat beitragen. Bei der Inspektion der Urania zeichnet sich eine Unordnung, sogar eine Art Urmysterium ab. Ein sich regender Impuls trägt hier alsbald einen Phallus in die Welt. Urania (ausdrucksstark: Lisa Hrdina) entwickelt sich zu Uranos und wartet gar mit allerlei größer werdenden Ständern auf, von der Möhre über die Salami und das Baguette bis hin zum Leitkegel. Einen ausgefahrenen Zollstock schwingt Uranos sogar drohend Lasso-ähnlich. Träume lassen sich nicht erziehen, wie das Fortsetzungsdrama Gaia googelt nicht von Autorin Nele Stuhler poetisch schwelgerisch weismacht. Uranos ist es jedoch bald leid, Gaias Schöpfungen in das Weltenlos hineinzutragen, ihr gar hinterher zu räumen.
Auch Kronos (Alexander Khuon) erklärt Gaia bald, dass das Denken über schöpferische Verbindungen gefährlich sei. Gaia redet mit ihm über mögliche Ängste, hofft jedoch insgeheim weiterhin auf die gewinnträchtige Bindung. Bald kommt es zum umstürzlerischen Showdown. Denn das Männliche lässt sich nun nicht mehr zurücknehmen. Im Rudelberg der Unendlichkeit entspinnt sich entgegen aller Ladies first-Gentlemanliness ein bedeutungsschwerer Machtkampf.
Nele Stuhlers komisches, experimentierfreudiges Stück überzeugt durch gut aufgelegte Darsteller. Die betont weibliche Perspektive auf Schöpfung ist erfrischend und sprudelt nur so vor Inspiration. Mit Einfall der Abenddämmerung werden die Gesten und das humorvolle Spiel mit den Geschlechterrollen umso bewegter. Der im Werktitel genannte Suchdienst wird in der Vorführung mit keinem Wort erwähnt. Trotzdem geht mit der Schöpfung stets auch sichtlich eine Suche einher.
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Gaia googelt nicht am Deutschen Theater Berlin | Foto © Arno Declair
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Ansgar Skoda - 23. August 2021 ID 13091
GAIA GOOGELT NICHT (Innenhof, 21.08.2021)
Regie: Sarah Kurze
Bühne: Manuel La Casta
Kostüme: Henrike Huppertsberg
Musik: Marcel Braun und Björn Mauder
Dramaturgie: Sima Djabar Zadegan und Bernd Isele
Mit: Harald Baumgartner, Maren Eggert, Sarah Maria Grünig, Lorena Handschin, Lisa Hrdina und Alexander Khuon
Uraufführung am Deutschen Theater Berlin: 9. Juni 2021
Weiterer Termin: 050.9.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
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