Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Uraufführung

Lappen

hoch

René Pollesch startet in eine Theaterära der AutorInnen und SchauspielerInnen ganz ohne den pathologische Willen von Regisseuren


Margarita Breitkreiz in Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen von René Pollesch in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Christian Thiel

Bewertung:    



ENTRANCE steht mit großen Buchstaben auf dem Transparent über dem Portal der Volksbühne. Das traditionsreiche Haus am Rosa-Luxemburg-Platz öffnet wieder seine Pforten und lädt das gespannt wartende Publikum zur ersten Spielzeit unter dem neuen Intendanten René Pollesch. Dass es da nicht nur Vorfreude gibt, sondern sogenannte Querdenker, die sich in den Jahren nach dem Ende der Castorf-Ära, die durch viele Querelen gekennzeichnet waren und das Theater allein dadurch schon in Verruf brachten, am Platz davor breit gemacht haben, ist eine weitere Hypothek, mit der die Volksbühne in der Corona-Pandemie und auch in Zukunft zu kämpfen haben wird. Relativ lautstark machte sich dort eine Gruppe von Impfgegner breit, deren flüchtende Transparentträger durch die herbeigerufene Polizei verfolgt wurden. Ein etwas missglückter Start, der im Inneren der Volksbühne allerdings kaum noch Thema war. Zunächst hat sich die Volksbühne aber auf alte Roadshow-Zeiten besonnen und auf dem Platz mit dem legendären Räuberrad ein Zirkuszelt aufgebaut, in dem neben den Premieren im großen Haus weitere Veranstaltungen zum Spielzeitbeginn stattfinden werden.

*

Business as usual, möchte man meinen, ist René Pollesch doch eine der Haupt-Figuren, die das Gesicht der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz seit Mitte der 1990er Jahren ausgemacht haben. Man kennt sein Diskurstheater, das er seit Jahren auch an anderen deutschen Theatern, dem Wiener Burgtheater und nach dem Weggang von der Volksbühne am Deutschen Theater Berlin aufgeführt hat. Dass er die Intendanz der gebeutelten Volksbühne übernehmen würde, sorgte dann im letzten Jahr auch nicht wirklich für eine Überraschung. Einen Roll back zu alten Castorf-Zeiten soll es trotzdem nicht geben. René Pollesch bevorzugt einen durch kollektive Mitbestimmung geprägten Führungsstil, bei dem sich die gleichberechtigten Ensemblemitglieder ihre RegisseurInnen selbst wählen dürfen. Weiterhin sind prägende SchauspielerInnen wie Kathrin Angerer und Martin Wuttke ans Haus zurückgekehrt, und auch Sophie Rois hat ihre Rückkehr für die nächste Spielzeit angekündigt.

Als Opener gab es nun das Stück Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen, ein typischer Pollesch-Titel und mit Kathrin Angerer und Martin Wuttke auch gleich prominent besetzt. Das Premieren-Quartett komplettieren die langjährige Castorf-Darstellerin Margarita Breitkreiz und die Schauspielerin Susanne Bredehöft, die u.a. in Filmen von Christoph Schlingensief und Produktionen der Berliner Volksbühne besetzt war. Auch sonst knüpft das Stück an bekannte Pollesch-Abende an. Lockere Dauerdiskursschleifen garniert mit Slapstick- und- Popmusikeinlagen. Als Inspirationsquellen für den Text gibt der Programmzettel Autoren wie den deutschen Literaturwissenschaftler Patrick Eiden-Offe, den sowjetischen Literaturkritiker Michail Alexandrowitsch Lifschitz, die Philosophen Jean-Luc Nancy und Slavoj Žižek sowie die Tagebücher der Schriftstellerin Susan Sonntag und den Tolstoi-Epilog des Schriftstellers Stefan Zweig aus dessen Sammlung Sternstunden der Menschheit einen nicht unerheblichen Einfluss ausgemacht haben.

Weiterer wichtiger Mitspieler des knapp 90minütigen Abends ist aber der titelgebende Vorhang, den Bühnen- und Kostümbildner Leonard Neumann, Sohn des verstorbenen Volksbühnen-Ausstatters Bert Neumann, als orangefarbenen Stoff (im doppelten Wortsinn) über die Bühne gehängt hat. An Seilzügen gehalten kann der „Lappen“ die Form ändern, schweben, tanzen, aufsteigen und zu Boden fallen. René Pollesch gibt dem Vorhang ein theatrales Eigenleben nicht nur als schnöde Brechtgardine, die auf und zugezogen wird, sondern als Leben zwischen dem Heben und Fallen, eine Art Warteraum oder Pforte nach dessen Heben das Publikum die Tragödie erwartet. Da wird natürlich auch eine Menge gekalauert wenn sich Martin Wuttke als „menschlicher Lappen“ vor dem Lappen bezeichnet.

Dem Schauspieler hat Ausstatter Neumann ein Gerippe auf den Rücken geschnallt, das an Fäden gezogen raucht und ihm als Running Gag und Tod im Nacken immer wieder an die Schulter tippt. Im Duett mit Kathrin Angerer gelingen einige schöne Dialoge über Geburt und Tod des Vorhangs, über dissoziative Störungen oder die müde Jugend hinter dem Vorhang grauer Haare, auf der die Probleme der Welt lasten, während die Alten jung zu bleiben versuchen. Eine Anspielung auf Fridays for Futur und den Gesundheitswahn. Nicht der einzige Verweis auf aktuelle Diskurse. Gestreift werden auch die Genderdebatte und die Macht der Regisseure, deren Wille hier als pathologisch bezeichnet wird.

Auch Brechts Die Mutter oder die Courage werden zitiert und über das Allgemeine des politisch engagierten Dramas diskutiert. Es kommen der sterbende Tolstoi und die Kubisten vor. Pollesch klopft die Kunst und das Theater wieder auf seine Wirkung ab, wozu der Vorhang zu Pop- oder Filmmusik von Kate Bush und dem Soundtrack von Almodovars Film Vicky Cristina Barcelona wilde Choreografien vollführt. Ein durchaus stimmungsvoller Abend, ein Versprechen in die Zukunft, das es nun einzulösen gilt. Der Wille René Polleschs, die von ihm als pathologisch erachtete Alleinherrschaft der Regiekönige zugunsten eines Teams aus AutorInnen und SchauspielerInnen zu beenden, ist hehre Theorie, die nun in die Praxis umgesetzt werden will.



Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen von René Pollesch in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Christian Thiel

Stefan Bock - 17. September 2021
ID 13147
AUFSTIEG UND FALL EINES VORHANGS UND SEIN LEBEN DAZWISCHEN (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 16.09.2021)
Text & Regie: René Pollesch
Bühne & Kostüme: Leonard Neumann
Licht: Frank Novak
Dramaturgie: Johanna Kobusch
Mit: Kathrin Angerer, Susanne Bredehöft, Margarita Breitkreiz und Martin Wuttke
Uraufführung war am 16. September 2021.
Weitere Termine: 18., 19., 25.09. / 03.,11., 31.10.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin.de


Post an Stefan Bock

Freie Szene

Live-Streams

Neue Stücke

Premieren



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE

TANZ IM AUGUST

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)