Von Nebelkerzen
und dem Licht
der Aufklärung
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Der Preis des Menschen am Residenztheater München | Foto (C) Judith Buss
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Bewertung:
Die Bühne in Form einer breiten Treppe ist dunkel. Schemenhaft sind die Schattenrisse von Tieren erkennbar. Es ist ein ganzer Zoo: Tiger, Löwe, Giraffe, Eisbär, Walross, Elefant, Panda, Pinguin und Papagei, von oben hängt auch noch ein Faultier herab. Sie sind ausgeschnitten aus Pappe, gepixelt, einige mit Wasserzeichen versehen. Versatzstücke der Natur aus einer Bilderdatenbank oder Jagdtrophäen? Und dann steigt weißer Dunst auf. Das Mysterium der Urkräfte kommt jedoch aus einem kleinen viereckigen Kasten, gesteuert per Knopfdruck von einem Grafen des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Aufklärung und des Kolonialismus.
Wir sind im Jahre 1807. Der Graf von Santa Barbara (Michael Goldberg) hat den außerehelich gezeugten Sohn seiner Frau (Juliane Köhler) erbarmungslos verkauft. Andererseits wird er sich später zu einer Moralpredigt zum Thema Sklaverei aufschwingen. Die Gräfin kann sich dennoch nicht von ihm lösen. Dass ihr Sohn (Valentino Dalle Mura) noch lebt, verschweigt ihr auch Padre Dinis (Steffen Höld). Er hat an dem jungen Mann, der inzwischen als Diener bei der Herzogin de Montfort (Barbara Horvath) lebt, gut verdient. Und nebenbei die farbige Novizin Francisca (Massiamy Diaby) geschwängert. Jetzt versucht er es bei der Gräfin, wenn er nicht gerade arme Seelen rettet. Allenthalben werden Nebelkerzen geworfen, man beweihräuchert vor allem sich selbst.
Es geht um Besitzverhältnisse zwischen Menschen. „Besessene“ sind solche, die besessen werden. Von Sklavenhaltern. Aber auch solche, die besessen haben oder noch besitzen. Die Aristokratie. Ihr Eigentum wird bedroht durch die Aufstände der Sklaven der Kolonie Saint-Domingue, die 1794 historisch zur Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien führten. Besitz prägt auch das Verhältnis der Geschlechter. Gefühle sind ein Teil ihrer allgegenwärtigen Kosten-Nutzen-Rechnungen. Wer verkauft sich an wen - und was kostet eine Nacht mit der Herzogin? Verbleibt der Verlassene umso mehr, ja für immer im Besitz des anderen? Wer ist Herrscher und wer Diener? Wer steht oben auf der Hierarchie der Treppenstufen, wer klettert hinunter?
Kluge Sätze werden gesprochen, viele Themen angerissen, mal von dem einen oder der anderen – im sicheren Corona-Abstand. Ja, man weiß es: die Philosophen der Aufklärung sahen die Freiheit als den natürlichen Zustand des Menschen an, gleichzeitig akzeptierten sie die Ausbeutung der Menschen in den Kolonien. Waren sie doch die Grundlage des europäischen Wirtschaftsaufschwungs. Auch zur Gleichberechtigung der Frau war es bekanntlich noch ein weiter Weg.
Der Preis des Menschen, das neue Stück von Thiemo Strutzenberger, der als Schauspieler Ensemble-Mitglied am Residenztheater ist, und dessen Inszenierung von Miloš Lolić bieten jede Menge Assoziationsraum. Vieles, zu Vieles bleibt jedoch im Nebel. Abstrakte, dafür schnell gesprochene und knapp aufeinander folgender Textpassagen lassen keine rechte Sicht zu, schon gar keinen Durchblick. Soll gezeigt werden, wie Sprache vernebelt? Während man noch einzelnen pointierten Formulierungen nachhängt, entgeht oft der Zusammenhang. Wer ist Freund, wer Feind? Wer Täter, wer Opfer? Das soll man sich natürlich auch überlegen. Aber was haben die Arbeiter zu bedeuten, die immer mal wieder auftauchen und einige Bänke auf den Stufen abmontieren? Licht dringt durch die offenen Türen von außen in die Szene. Die Darsteller wenden sich dorthin. Ein Blick in die Zukunft? Sollte dabei nur die Banalität einer technischen Dienstleistung herauskommen? Oder will man die hängen gebliebene Sentenz versinnbildlichen: „Im Schatten vom Licht soll mehr Licht sein“?
Jedenfalls leuchteten die Glasaugen der Papiertiger und der anderen animalischen Pappkameraden an dramatisch dunklen Stellen auf.
Und das ausgezeichnete Ensemble der Darsteller*innen (ach ja, das Gender-Thema kam auch vor) hat durchaus Spaß gemacht.
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Valentino Dalle Mura in Der Preis des Menschen am Residenztheater München | Foto (C) Judith Buss
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Petra Herrmann - 13. Oktober 2020 ID 12531
DER PREIS DES MENSCHEN (Marstall, 11.10.2020)
Inszenierung: Miloš Lolić
Bühne: Evi Bauer
Kostüme: Jelena Miletić
Musik: Nevena Glušica
Licht: Uwe Grünewald
Dramaturgie: Stefanie Hackl
Besetzung:
Der Graf von Santa Barbara, Aristokrat ... Michael Goldberg
Angela de Lima, Gattin des Grafen von Santa Barbara ... Juliane Köhler
Alberto de Magalhaes, Sklavenhändler ... Michael Wächter
Elisa de Montfort, Herzogin ... Barbara Horvath
Pedro da Silva, Diener der Herzoging ... Valentino Dalle Mura
Padre Dinis, Abt ... Steffen Höld
Francisca, Novizin ... Massiamy Diaby
Uraufführung am Residenztheater München: 11. Oktober 2020
Weitere Termine: 23.-25.10. / 02., 13., 15., 21., 27.11.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de/
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