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Uraufführung

RINGelpiez

mit Anfassen



wagner - der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood) am Berliner Ensemble | Foto: Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Nach dem Deutschen Theater (Goodyear) ist auch das Berliner Ensemble in den Präsenzbetrieb zurückgekehrt. Als erste Premiere stand am 3. Juni die Uraufführung eines neuen Stücks des 2fachen Mülheim-Preisträgers Thomas Köck (2018 mit paradies spielen, 2019 mit atlas) auf dem Programm. Köck hat sich mit dem deutschesten aller Mythen beschäftigt, der Nibelungensage. Und das in der Opernbearbeitung von Richard Wagner, der Tetralogie Der Ring des Nibelungen.

wagner - der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood) heißt das Stück, das keine Oper sein will, auch wenn Komponist Max Andrzejewski recht modern mit Wagner-Themen spielt und das Stück damit orchestral untermalt. Es ist eher ein Schreddern des Wagner-Librettos, wie man dem Untertitel (deutsch: „Ein Stück wie frisch gehacktes Eschenholz“) entnehmen kann. „Ich habe Wagner ja gecancelt und bin nur der Sprache nachgegangen, um sie mir anzueignen und eigentlich Raubbau daran zu betreiben und zu machen, worauf ich Lust habe“, beschreibt der Autor im Programmheft seine Vorgehensweise. Nun ist hier nicht der Platz, den Inhalt der Wagner’schen Ring-Tetralogie nachzuerzählen. Den sollte man vor dem Gang ins BE selbst wenigstens mal kurz überflogen haben.

Köck hält sich schon relativ genau an den Ablauf der vier Opern. Auch das Personal ist fast vollständig vorhanden. Nur das Setting, zu dem ihm Uraufführungsregisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag eine überdimensionale Puppenküche gebaut hat, ist schon etwas anders. Eigentlich versucht ja auch jeder Opern-Regisseur, der sich dem Wagner-Epos nähert, eine Neuinterpretation zumindest in Bühnenbild und Kostüm vorzulegen. So setzte Frank Castorf z.B. in der letzten Bayreuther Ringbearbeitung den Rohstoff Erdöl als Metapher für die zerstörerische Macht des Goldes und jagte die Wagner-Personage von der Russischen Revolution bis an die New Yorker Wallstreet. Ganz so weit in der Geschichte reisen wir bei Thomas Köck nicht. Bei ihm spielt sich der Plot nur in den Köpfen einiger Irrenhausinsassen ab. Gitter vor den Fenstern und im Video dahinter mal ein langer Anstaltsgang oder die mit Mund-Nasenschutz versehenen Riesen Fasolt und Fafner als ausgebeutetes Klinikpersonal. Einen kleinen Rückblick auf die Corona-Krise gibt es also auch.

Anstaltsoberarzt ist Göttervater Wotan, hier dargestellt von Corinna Kirchhoff, der von Mutter Erda (gendergeswitcht Wolfgang Michael) immer mal wieder als „Old White Dude“ angekumpelt und zum Abtreten in Würde aufgefordert wird. Hagen (Nico Holonics) im Kostüm eines Horrorclowns mimt den Manager der Anstalt, in die Zwerg Mime (Jonas Grundner-Culemann) Siegfried zwecks Lobotomie einliefern will. Hintergrund ist die Vertuschung eines Missbrauchs Mimes an seinem Ziehsohn. Der arme Kerl, der hier von Paul Zichner als Mischung als Glamrocker und Klemmschwester dargestellt wird, fantasiert sich nun in Wagners Ring-Welt, in der ihm außer Verführer Hagen auch noch Zwerg Alberich (Peter Moltzen) als gieriger Jude mit Hakennase und schlechtes Gewissen, genannt „die deutsche Geschichte“, sowie Brünnhilde, ebenfalls eine Anstaltsinsassin, begegnen und allerlei Kindheitstraumata bei ihm auslösen.

Nicht genug dessen, könnte man infolge einen Zettel rausholen und ruhig Buzzword-Bingo spielen. Alter weißer Mann und Antisemitismus hatten wir ja schon, toxische Männlichkeit und Fridays for Futur folgen. Zumindest optischen Genuss bieten die an Horrorfilme der 1970er Jahre angelegten Kostüme von Josa Marx und die Bühne von Ersan Mondtag, auf der die Rheintöchter (Philine Schmölzer, Emma Lotta Wegner und Peter Luppa) aus dem Spültisch steigen und Zwerg Alberich hustend aus dem Backofen (O Gott, geht das denn) purzelt. Allerdings verzwergt diese Riesenküche, auf deren Stühlen die DarstellerInnen kaum über die Tischkante schauen können, auch den eh schon recht küchenpsychologischen Text von Köck, in dem es verhältnismäßig redundant um deutsche Mythen geht und das Vergessen der Geschichte bis zum Fliegenschiss von Alexander Gauland.

Es raucht und knallt im deutschen Mythenwald. Und wenn es in Deutschland kalt ist, steigt man aus dem Kühlschrank mit Typenaufschrift SIEG. Ein weiteres Bingo gefällig: „Nackte Frauen und parasitäre Juden, die das Gold stehlen wollen. So setzen sie an, die deutschen Mythen, und dann wundert man sich über rechte Netzwerke in der Bundespolizei.“ Etwas intelligenter gekalauert hatten wir das schon mal von Elfriede Jelinek in ihrem Stück Rein Gold gehört. Aber auch ein paar von Wagners wogenden Alliterationen hat Köck zum Teil direkt aus dem Libretto entnommen.

Fast einziger Lichtblick ist Stefanie Reinsperger, die sich als Brünnhilde-Girlie eigentlich einen Dreck aus Klein-Siegfrieds Besitzansprüchen und Wotans faulen Verträgen macht, bis sie schließlich sediert und fixiert wird. Allein ihre Ansprache an der Rampe und das Versprechen „Es hat sich ausgetreamt!“ sind schon das halbe Eintrittsgeld wert. Erst vom schwertschwingenden Siegfried bestiegen und dann gemeuchelt, darf sie zum Schluss wieder auferstehen. Da hat man aber schon fast 4,5 Stunden RINGelpiez mit Anfassen in den Knochen. Und wer vor der Pause nicht reif für die Klapse ist, hat im zweiten Teil nicht mehr allzu viel zu lachen. Ein eigentlich doch recht ärgerlicher Kinderkram. Aber was soll einem auch zu Wagner und Deutschland noch einfallen. Mit ihrem Wagner-Abholzungs-Trash haben sich Thomas Köck und Ersan Mondtag jedenfalls ordentlich im dunkel-deutschen Mythenwald verrannt. „Schluss aus, kein Mythos mehr. Ende, Finale, Bumm!“



wagner - der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood) am Berliner Ensemble | Foto: Birgit Hupfeld

Stefan Bock - 5. Juni 2021 (2)
ID 12954
WAGNER - DER RING DES NIBELUNGEN (A PIECE LIKE FRESH CHOPPED ESCHENWOOD) | Berliner Ensemble, 04.06.2021
recomposed by Thomas Köck mit Musik von Max Andrzejewski
Regie/Bühne: Ersan Mondtag
Kostüme: Josa Marx
Musik: Max Andrzejewski
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Licht: Rainer Casper
Video: Bahadir Hamdemir
Mit: Jonas Grundner-Culemann (als Mime, Sieglinde), Nico Holonics (als Hagen, Siegmund), Corinna Kirchhoff (als Wotan), Peter Luppa (als Walküre, Norne, Rheintochter), Wolfgang Michael (als Erda), Peter Moltzen (als Alberich, die deutsche Geschichte), Stefanie Reinsperger (als Brünnhilde), Philine Schmölzer (als Walküre, Norne, Rheintochter), Emma Lotta Wegner (als Walküre, Norne, Rheintochter) und Paul Zichner (als Siegfried) sowie dem Orchester mit Moritz Ter-Nedden (Violine), Grégoire Simon (Violine), Friedemann Slenczka (Viola), Ragnar Jonsson (Violoncello), James Banner (Kontrabass), Laure Mourot (Flöte), Miguel Perez Inesta (Klarinette), Isaac Shaw (Horn), Maria Schneider (Vibraphon), Arne Braun (Gitarre), Jörg Hochapfel (Keyboards, Pinao) und Max Andrzejewski (Drumset)
Premiere der Uraufführung war am 3. Juni 2021.
Weitere Termine: 18., 19. und 20.06.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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