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In Lola Arias´ Dokutheaterstück What They Want to Hear an den Münchner Kammerspielen erzählt der aus Syrien geflüchtete Raaed Al Kour über seine Erfahrungen mit der Bürokratie deutscher Asylverfahren



Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Neben dem Exil Ensemble am Maxim Gorki Theater Berlin haben nun auch die Münchner Kammerspiele ein Schauspielprojekt mit Geflüchteten gestartet. In München firmiert es unter dem Namen Open Border Ensemble, was im Moment einer Kampfansage gegen die Bestrebungen der bayrischen CSU, die Grenzen Deutschlands gegen unkontrollierte Zuwanderung dicht zu machen, gleichkommt.

*

Die zweite Produktion der argentinischen Regisseurin Lola Arias (Atlas des Kommunismus am Maxim Gorki Theater) an den Münchner Kammerspielen befasst sich nun mit den Fluchterfahrungen des Syrers Raaed Al Kour, der 2013 aus dem Bürgerkriegsland floh, seit 2014 mit ungeklärtem Aufenthaltsstaus in München lebt und ständig von Abschiebung bedroht ist.

Genauer gesagt, sein Antrag auf Asyl, den er vor 1.620 Tagen beim BAMF (Bundesamts für Migration und Flüchtlinge) gestellt hatte, wurde abgelehnt, da er bei seiner Flucht in Bulgarien aufgegriffen und registriert wurde und einen sogenannten subsidiären Flüchtlingsstatus erhielt. Da die Unterbringungsbedingungen dort allerdings recht unmenschlich waren und Al Kour auch geschlagen und von Rechtsradikalen bedroht wurde, floh er weiter nach Deutschland, wo er nun nach seinem Widerspruch gegen die Abschiebung bis heute in den Mühlen der bayrischen Bürokratie festhängt.

Von all dem erzählt dieser Dokutheaterabend recht ausführlich. Und wie man erfährt, ist der zentraler Punkt bei einem Asylverfahren die Anhörung zu den Asylgründen, die einer ersten Anhörung zur Feststellung der Personalien, Herkunft und Fluchtroute des Asylbewerbers folgt. Dazwischen vergehen zum Teil Wochen oder auch Monate, die sich Raaed Al Kour zum Beispiel auch mit dem von freiwilligen Helfern angebotene Training für diese zweite Anhörung vertrieb.

Zentrale Frage des Abends und für jeden Flüchtling, der diesem gesetzlichen Prozedere ausgesetzt ist, ist das titelgebende What They Want to Hear. Wie gut ist die ganz individuelle Geschichte, die die Betroffenen vortragen, wie gut wird sie übersetzt und was sind die Kriterien, nach denen letztendlich entschieden wird? Streng formal läuft das hier auf der Bühne der Kammerspiele ab. In dem zweistöckigen Bühnenbild von Dominic Huber ist auf der unteren Ebene eine Amtsstube, wo die Anhörungen stattfinden oder sich das Büro der Rechtsanwältin befindet. Michaela Steiger spielt wechselnd eine BAMF-Beamtin, Anwältin oder freiwillige Helferin. Hassan Akkouch ist Raaed Al Kours Dolmetscher und berichtet zwischendurch von seinem eigenen Migrationsweg als Flüchtlingskind einer vor dem einstigen Bürgerkrieg aus dem Libanon geflohenen Familie.

Auch die anderen Mitspieler (Jamal Choucair, Kinan Hmeidan und Kamel Najma) haben ihre ganz persönlichen Geschichten, die sie bis zum Bühnentechniker aus Afghanistan in das Geschehen einflechten. In der oberen Ebene des Bühnenbaus spielen sie als Flüchtlinge, syrische Soldaten und auch als dienstbeflissene deutsche Polizisten kleine Szenen, die sich für jeden Betroffenen so oder ähnlich immer wieder zugetragen haben. Die gespielten Anhörungen beruhen auf den echten Protokollen von Raaed Al Kour und zeigen sehr deutlich Ohnmacht auf der einen und bürokratisch bedingte Gesetzeswillkür auf der anderen Seite. Ist Dublin für Al Kour nur die Hauptstadt von Irland, ist es für das Asylverfahren der Begriff für eine europäische Flüchtlingsrichtlinie, die besagt, dass der Asylantrag dort gestellt werden muss, wo der Geflüchtete zum ersten Mal in die EU einreist.

Die Inszenierung wechselt zwischen diesen streng dokumentarischen Passagen, den freieren Spielszenen und Videos von Demonstrationen in Daraa, wo sich Raaed Al Kour an den ersten Protesten gegen das Assad-Regiem beteiligte und deswegen aus Angst vor der Verfolgung und dem drohenden Einzug in die syrische Regierungsarmee geflohen ist. Einer seiner Cousins wurde gefoltert und umgebracht, das Haus der Familie ist zerbombt. Ob es je wieder eine Perspektive für den Archäologiestudenten in Syrien geben wird, ist ungewiss. Eine bereits erhaltene Zulassung für eine Fortsetzung des Studiums in München scheitert an der Residenzpflicht des in Wiesheim Gemeldeten.

Mittlerweile arbeitet Raaed Al Kour selbst als freiwilliger Helfer für andere Geflüchtete, aber seine Geschichte hat nach wie vor kein Ende gefunden. Ist der Abend auch nicht mit den künstlerisch sehr ansprechenden Zugriffen des Berliner Exil-Ensembles vergleichbar, eher vielleicht noch mit der wegen der fehlenden Auftrittserlaubnis noch prekäreren Situation von Yousif Ahmad aus Yael Ronen´s Stück Gutmenschen, so hat doch Raaed Al Kour durch das Projekt von Lola Arias zumindest einen Weg gefunden, auf seine Geschichte selbst zu erzählen. Etwas, was in Zeiten schwindender Empathie angesichts der vielen verschieden Flüchtlingsschicksale in Europa bitter notwendig ist.



What They Want to Hear an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Stefan Bock - 17. Juli 2018
ID 10807
WHAT THEY WANT TO HEAR (Kammer 1, 12.07.2018)
Ein Projekt von Lola Aria mit dem Open Border Ensemble

Inszenierung: Lola Arias
Bühne: Dominic Huber
Kostüme: Lena Mody
Video: Mikko Gaestel
Musik: Jens Friebe
Licht: Charlotte Marr
Stagehand: Sajad Hosayni
Übersetzung: Rabelle Erian
Dramaturgie: Katinka Deecke und Krystel Khoury
Mit: Hassan Akkouch, Raaed Al Kour, Jamal Choucair, Kinan Hmeidan, Kamel Najma und Michaela Steiger
Uraufführung an den Münchner Kammerspielen: 22. Juni 2018
Weiterer Termin: 23.07.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.muenchner-kammerspiele.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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