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nachDRUCK # 6

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Neue Stücke

Amir nach

Mario Salazar



Foto (C) JR Berliner Ensemble

Bewertung:    



Amir ist nach Kriegsbeute von Martin Behnke und Burhan Qurbani das zweite Stück aus dem zum Start der Intendanz von Oliver Reese am Berliner Ensemble aufgelegten Autoren-Programms. Geschrieben hat es ursprünglich der 1980 geborene deutsche Dramatiker Mario Salazar. Was nunehr im Kleinen Haus des BE zur Uraufführung kam, ist allerdings eine Stückentwicklung der Regisseurin Nicole Oder und ihrem Ensemble unter dem Titel Amir nach Motiven des Dramas von Mario Salazar. Der Abdruck des Stücktextes von Salazar liegt als kleines Heftchen im Foyer an der Garderobe. Außer den Personennamen hat die Regisseurin aber kaum etwas daraus für ihre Inszenierung übernommen. Das erinnert fatal an die letzten AUTORENTHEATERTAGE im Deutschen Theater nebenan, als Regiestar Sebastian Hartmann den Text des Stücks In Stanniolpapier von Björn SC Deigner, einem der drei Gewinnerautoren, auf ein kaum noch erkennbares Minimum schrumpfte.

*

Nicole Oder gehört seit 2007 zur künstlerischen Leitung des Heimathafen Neukölln. Dort inszenierte sie u.a. Güner Balcis Doku-Roman Arabboy als den ersten Teil einer Neukölln-Trilogie. Mit dem dritten Teil ArabQueen wurde sie 2011 zum Münchner Festival Radikal Jung eingeladen und gewann dort den Publikumspreis. Amir könnte man nun sozusagen als Teil 4 dieser Neukölln-Saga bezeichnen.

Salazar hatte eine Story um einen palästinensischen Familienclan in Berlin-Neukölln entworfen. Amir besitzt als Sohn sogenannter staatenloser Flüchtlinge aus dem Libanon nur eine Duldung, die, da man ihn nicht abschieben kann, immer wieder verlängert wird. Eine Arbeit aufzunehmen ist ihm nicht erlaubt, und so beginnt die kriminelle Karriere eines Intensivtäters, dessen Taten von Owen Peter Read als ansonsten im Hintergrund in Dauerschleife beamtendeutsche Sätze herbetenden Bearbeiters der Berliner Ausländerbehörde aufgezählt werden.

Außer dem BE-Schauspieler Owen Peter Read hat Nicole Oder ihr Ensemble mitgebracht. Die Titelfigur des Amir gibt der aus vielen TV- und Kinorollen bekannte Burak Yigit. Amirs, ihn immer wieder zu Straftaten anstiftender Bruder Mohammed wird von Tamer Arslan (Ex-Gorki) gespielt, ihr jüngerer, rappender Bruder Abdul vom UdK-Studenten Elwin Chalabianlou. Nicole Oder hat für ihre Inszenierung noch eine boxende Schwester (Laura Balzer) hinzuerfunden. Sie dient dabei als Musterbeispiel für Integration, die sich an der Förderung von Talenten orientiert. Leila soll für Deutschland boxen und dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, die in der Familie sonst nur Abdul per Geburtsrecht besitzt, eine Chance die Amir und Mohammed aber verwehrt bleibt.

Das von Salazar beschriebene Milieu aus Drogen, Prostitution und Clanverbrechen sowie weitere Nebenfiguren lässt die Regisseurin aber weitestgehend beiseite. Nur Mohammed kommt immer wieder als düsterer Einflüsterer vorbei. So überfällt Amir in seinem Auftrag einen Ladenbesitzer, den er niederschlagen muss, wobei dieser sich lebensgefährliche Verletzungen zuzieht. Das erfahren wir nur in Erzählungen Amirs vor einer sich recht dynamisch immer wieder drehenden Mittelwand, auf die Live-Videos und -Zeichnungen der Künstlerin Bente Theuvsen projiziert werden. Zusammen mit den wütenden Rap-Einlagen von Elwin Chalabianlou erzeugt das eine besondere Intensität, die sich mit dem bloßen Abspulen des Stücktextes wohl nicht erzeugen ließ.

Auch die Chance, sich durch die Liebe zur Deutschen Hannah (Nora Quest) aus dem Sumpf des Verbrechens zu ziehen, erfüllt sich für Amir nicht. Im Nachtclub tanzen alle wild zum Technosound. Gemeinsame Pläne werden geschmiedet. Aber zu fremd ist Amir das Leben der eigentlich recht aufgeschlossenen, vorurteilsfreien jungen Frau, die ihn auch zu einem Ballettabend in die Deutsche Oper mitnimmt. Die festen Clan-Fesseln und die Aussicht nur mit illegaler Arbeit in Gemüseläden etwas Geld zu verdienen, lassen Amir doch wieder in die Kriminalität abrutschen. Nach einem Sparkassenüberfall kommt er schließlich ins Gefängnis, was auch das Ende der Beziehung bedeutet.

* *

Als wütende Anklage gegen Ausländergesetze, die den staatenlosen MigrantInnen kaum Entwicklungsmöglichkeiten und die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben bieten, ist dieser 90minütige Abend sicher ein starkes Stück Theater. Aber es muss im Nachhinein schon die Frage erlaubt sein, warum sich das Berliner Ensemble ein Autoren-Programm leistet, am Ende aber die Texte nicht spielt. Was als Zusammenarbeit von AutorInnen und RegisseurInnen gedacht war, entpuppt sich zur Fundgrube für eine Regie, die wiedermal nur ihr ganz eigenes Ding im Kopf hat.



Amir am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Stefan Bock - 5. Mai 2019
ID 11393
AMIR (Kleines Haus, 04.05.2019)
nach Motiven des Dramas von Mario Salazar
Bearbeitung von Nicole Oder und Ensemble

Regie: Nicole Oder
Bühne: Franziska Bornkamm
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Live-Zeichnungen: Bente Theuvsen
Kostüme: Vera Schindler
Musik: Heiko Schnurpel
Mit: Tamer Arslan, Laura Balzer, Elwin Chalabianlou, Nora Quest, Owen Peter Read und Burak Yigit
Premiere am Berliner Emsenble: 27. April 2019
Weitere Termine: 05., 11., 12., 29., 30.05.2019
Amir entstand im Rahmen des Autoren-Programms.


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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