Wer hat
Angst
vor…
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Lydia Stäubli, Sandrine Zenner und Daniel Breitfelder in House of Horror am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Heute betrachten wir einmal das Theater von innen, aus der innen-Perspektive von Schauspieler*innen, Dramatiker*innen, Autor*innen und Regisseur*innen. Siehe da, es gibt ein Gender Pay Gap, es fehlt an einer Quote, und natürlich gibt es an vielgerühmten Dramenklassikern männlicher Autorschaft ganz viel zu bemäkeln. Frauen werden zu Symbolen degradiert, als Missbrauchsopfer überhöht und erhalten kaum eine eigene Stimme. Da verfielen etwa Goethes Gretchen, Shakespeares Ophelia oder Blanche aus Tennessee Williams Klassiker A Streetcar Named Desire der Verzweiflung und dem Wahnsinn. Lessings Emilia Galotti stirbt durch die Hand ihres Vaters, Büchners Marie durch die Hand ihres Lebenspartners Woyzeck. Und auch die Amazonen wie Kleists Penthesilea waren vielleicht bloße Fantasien der Männer. Wo bleiben da die starken, selbstbestimmten, autonomen Frauengestalten Mitte Vierzig?
Volker Lösch widmet sich in seinem zusammen mit der Dramaturgin Christine Lang geschriebenen Stück House of Horror den Themenkomplexen Theater, Frauen und Macht. Seine Collage mit Filmsequenzen und den unterschiedlichsten Subtexten bietet am Schauspielhaus Bad Godesberg jedoch vor allem recht handlungsarmes Sprechtheater. Als wichtigstes Bühnenrequisit dient ein überdimensioniertes, bewegliches Ledersofa, auf das die Figuren nacheinander klettern, um Szenen nachzustellen oder gemeinsame Monologe zu sprechen. Wie bereits bei seinen zuvor am Bonner Theater zur Uraufführung gebrachten Stücke Bonnopoly (2017) und Nathan (2016) wurde das Stück in Gesprächen mit Bonner Bürgerinnen und Bürgern entwickelt, die eigene Erfahrungen mit einbringen konnten. Erfahrungen der Gleichstellungsstelle der Stadt Bonn, der UN Women oder der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt werden so ebenso thematisiert wie fehlende Fördergelder für das Bonner Frauenmuseum oder die Möglichkeiten der Quote für ein Bundestagsabgeordnetenamt.
Das siebenköpfige Ensemble – fünf Frauen, zwei Männer - des Bonner Theaters wird durch sechs Frauen erweitert, die aus befragten Bürgerinnen ausgewählt wurden. Wechselnde Sprechchöre der dreizehn auftretenden Personen schleudern dem Zuschauer synchron und rhythmisiert Textteppiche entgegen, die ein „Wir“ und ein „Ich“ der in vielerlei Hinsicht benachteiligten Frau zum Ausdruck bringen. Zu Beginn, in der die Schöpfungsgeschichte und das Unheil durch Eva oder in der griechischen Tradition durch Pandora thematisiert werden, wird der Sprechchor noch dynamisch durch einen Ansager unterbrochen. Der Effekt des chorischen Vortrags nutzt sich jedoch ab, spätestens wenn auch allgemeine Misogynie, die #Metoo-Debatte oder symbolische Gewalt gegen Frauen zur Sprache kommen. Denn die zahlreichen Sprechchöre fordern dem Zuschauer einiges an Hör- und Aufnahmebereitschaft ab, wenn mal wieder selbstgewiss Vorwürfe und Anschuldigungen aneinandergereiht werden: „Euer Theater ist auf unserem Grab gebaut.“ Ein Premierenbesucher meint gar, das powervoll dem Zuschauer Entgegengeworfene solle ja vielleicht einer Missbrauchserfahrung gleichkommen.
Einige Themen wirken abgenutzt. So nennt der Darsteller Daniel Stock als „geniale“ Urheberinnen dramaturgischer Werke einzig Elfriede Jelinek und Pina Bausch. Dabei gibt es doch eine ganze Frauenliteraturgeschichte, zu der bereits unzählige Sachbücher und Anthologien erschienen. Später werden Übergriffe und typische Missbrauchssituationen vorgeführt. Eine theatrale Darstellung sexueller Gewalt wird in einer längeren, durchaus sehenswerten Szene hinterfragt, in der die Vergewaltigung der Lavinia in Shakespeares Titus Andronicus nachgestellt werden soll. Als die Darstellerin Lydia Stäubli sich weigert weiter mitzuspielen, wird sie gegen ihren Willen freigestellt, und es springt spontan Sandrine Zenner ein. Diese wird sogleich zusammen mit einem Teppich und ihrer Kollegin Birte Schrein in den Boden unter der Bühne gezogen. Auf Großleinwand werden nun Sandrine Zenner und Birte Schrein auf einer Suche im Untergrund gezeigt und mit zahlreichen Szenen konfrontiert, die weibliche Unterordnung vorführen. Birte Schrein begegnet Bertolt Brecht (Daniel Stock) als gewichtigen Schwerenöter, dem im Hintergrund bleibende Schriftstellerinnen wie Elisabeth Hauptmann (Sophie Basse) und Margarete Steffin zuarbeiten. Sandrine Zenner wird von Jack the Ripper (ausdrucksstark: Annika Schilling) verfolgt und mit allerlei Penisnasen und frauenverachtenden Sprüchen großer Schriftsteller konfrontiert.
Zum Ende hin sprechen die dreizehn auftretenden Personen ein schier endloses Manifest mit ganz vielen utopischen Gedanken für eine Gesellschaft ohne Machthierarchien oder eine Ungleichheit der Geschlechter. Da wird dann mit Blick auf sexuelle Selbstbestimmung einstimmig und lauter werdend wiederholt: „Zirkulieren statt penetrieren“. Dieses Manifest wird passenderweise durch die Klänge von „Vaginoplasty“ der kanadischen Electroclash-Sängerin Peaches unterbrochen, zu der die Darsteller*innen dann nebeneinander bei abrupter Disco-Beleuchtung tanzen. Als einen Wunsch fordert Daniel Breitfelder: „Kritiker sollten endlich das beschreiben, was sie sehen und nicht das, was sie sehen wollen.“ Dem wollen wir dann mal direkt widersprechen, denn tatsächlich fällt auf, dass in House of Horror viele Themen wie Burkas, Zwangsverheiratungen und sogenannte Ehrenmorde weitestgehend ausgeklammert wurden.
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Auf die Emanzipationsbewegung und den Feminismus folgten ja bekanntlich die Queer Theory und Queer Studies. Wenn sich Volker Lösch das nächste Mal um ein „Minderheiten“-Thema bemühen sollte, läge hier ja vielleicht das Thema LGBT nahe. Es stimmt auch, dass am Theater Bonn ausgesprochen wenig Theaterstücke und Opern von Frauen Premiere feiern. Andere Häuser sind da sehr viel progressiver. So gibt es seit 2018 am Badischen Staatstheater Karlsruhe ein Frauen-Leitungsquintett und die dortige Schauspieldirektorin Anna Bergmann arbeitet ausschließlich mit weiblichen Regiekräften.
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House of Horror am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 25. Mai 2019 ID 11434
HOUSE OF HORROR (Schauspielhaus, 24.05.2019)
Regie: Volker Lösch
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Annegret Riediger
Video: Thilo Schmidt
Licht: Max Karbe
Dramaturgie: Elisa Hempel und Christine Lang
Mit: Sophie Basse, Daniel Breitfelder, Annika Schilling, Birte Schrein, Lydia Stäubli, Daniel Stock, Sandrine Zenner und Julia Bogner-Dannbeck, Sophie Anastasia Botschek, Sophie-Bo Heinkel, Lioba Maria Pinn, Laila Noemi Riedmiller und Pia Rodriguez
Film House of Horro
Regie: Christine Lang, Volker Lösch
Kamera: Thilo Schmidt
Ton: Filipp Forberg
Montage: Christine Lang
Besetzung:
Birte, Elsa von Freytag-Loringhoven … Birte Schrein
Sandrine, Penny-Peaches … Sandrine Zenner
Jack the Ripper, Maria Schneider … Annika Schilling
Star-Regisseur, Marlon Brando, Intendant … Daniel Breitfelder
Bernardo Bertolucci, Bertolt Brecht … Daniel Stock
Catherine Deneuve, Olympe de Gouges … Lydia Stäubli
Elisabeth Hauptmann … Sophie Basse
Arbeiterinnen … Julie Grothgar, Male Günther, Elisa Hempel, Lara Hohmann, Florence Klotz, Annegret Riediger und Ira Schröder
Komparsinnen … Maya Ghahramanyan und Nadja Groß
Premiere im Theater Bonn war am 24. Mai 2019.
Weitere Termine: 31.05. / 06., 16., 19., 22., 29.06.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/
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