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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Multipler

Serienmörder



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Draußen regnet es im Wonnemonat Mai, und drinnen im Theater schimpft eine Schauspielerin: „Verflucht seiest du elender Juli, in alle Ewigkeit verflucht, Monat Juli!“

Juli heißt auch das Stück, das jetzt in der Regie von Leo Skverer im Berliner Theaterdiscounter Premiere feierte. Geschrieben hat es der russische Dramatiker Iwan Wyrypajew, geboren 1974 in Sibirien.

Lange kalte Winter, kurze heiße Sommer fallen einem da ein, tiefe Wälder, weite Steppen und Permafrostboden. Klima und Landschaft scheinen also geradezu ideal für eine ausgeprägte Depression. Entsprechend düster sind auch Wyrypajews Stücke, von denen bisher auch viele auf europäischen Bühnen gespielt wurden, u.a. seine Erfolgsstücke Sauerstoff und Juli oder auch ein relativ unerträgliches namens Unerträglich lange Umarmung, uraufgeführt 2015 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

*

In seinem 2006 entstanden Monolog wird dem 63jährigen Russen Pjotr ausgerechnet der Juli zum Monat seines Missvergnügens, auf den er zunächst all seine über Jahre aufgestaute Wut projiziert. Sein Haus ist mitsamt Schuppen und zwei Hunden darin abgebrannt. „Nichts ist übriggeblieben, nur ich, und der Monat Juli - in dessen Mitte all das losging, dieser gnadenlose Hirnfick.“ Mit einer entsprechend an Schimpfworten reichen Drastik beschreibt jener Pjotr nun seinen beschlossenen Weg in die Irrenanstalt von Smolensk, auf dem er, angefangen beim nichtsnutzigen Nachbarn und dessen Hund auch noch einen Obdachlosen, einen weiteren Hund und einen Popen in einem Kloster umbringt. Den heiligen Vater, der ihn wohltätig beherbergt, quält Pjotr dabei in aller Seelenruhe bis zu dessen Ende und zerteilt ihn danach, auf dass der auch bestimmt ins Paradies einziehe.

Pjotrs „Hirnfick“, der sich nun tatsächlich im Irrenhaus fortsetzt, in dem ihm, durch Schläge taub geworden und ans Bett gefesselt, auch noch seine einstige Jugendliebe in Gestalt einer Krankenschwester begegnet, empfiehlt Autor Wyrypajew übrigens von einer Frau vortragen zu lassen.

Zumeist wird dieser Regieanweisung gefolgt. So auch in diesem Fall, bei dem die Schauspielerin Nele Rosetz (bis 2017 im Ensemble des Staatsschauspiels Dresden und regelmäßig auch für Film und Fernsehen vor der Kamera) vor und auf einer langen, mit durchsichtiger Plastikplane abgedeckten Tafel agiert. Der Großteil des Publikums ist wie bei einem Abendmahl um diese Tafel gruppiert. An zwei der Wände werden die ganze Zeit Großaufnahmen des Gesichts der Schauspielerin projiziert.

Essen, vor allem in kannibalischer Form, christliche Symbole und Metaphern durchziehen auch Wyrypajewas Text. „Die Liebe ist Nahrung. Die Liebe ist ein Festschmaus.“ heißt es da zum Beispiel. Pjotr wird auch der Krankenschwester, mit der er sich im Wahn als multiple Persönlichkeit aufgespalten unterhält, das Herz wortwörtlich stehlen, um seine Liebe ganz in sich aufzunehmen. Er sieht und spricht mit einem Engel. Raum, Zeit und Identitäten wechseln und verschwimmen immer mehr, bis ihn am Ende seine Söhne im Sarg nach Archangelsk, der Stadt des Erzengels, holen.

Letztendlich ist dieses Psychogramm eines für uns rein pathologisch anmutenden Serienmörders auch nur ein Schrei nach Liebe, wie es so schön heißt, eine moderne Erlösungsgeschichte, die Wyrypajew zuerst drastisch und dann poetisch überhöht. Man kann darin eine russische Gesellschaftskritik lesen, oder auch einfach nur den Kreuzweg eines einsamen, vom Leben gedemütigten Menschen in den Wahn. Was sich nun szenisch daraus machen lässt, ist allerdings eine ganz andere Geschichte. Nele Rosetz geht es langsam und bedächtig an, als müsse sie sich der Figur erst annähern. Sie dehnt dabei die Worte und Vokale, krümmt sich immer mehr, die Hände schützend über den Kopf hebend, und läuft so auf dem Tisch hin und her. Es wird dabei auch viel mit Mikros und Soundeffekten gearbeitet.

Sehr eindrücklich sind dabei die Passagen, in denen Nele Rosetz versucht die sich in Mann und Frau aufspaltende Persönlichkeit der Figur darzustellen. Sie variiert Ausdruck, Mimik und Gestik, stopft sich die vom Tisch gezogene Plane unter die Kleidung. Die Tontechnik verfremdet und überlagert die Stimme der Schauspielerin, wenn sie in eines der Mikrofone spricht. Allein der beabsichtigte Effekt, „männliche wie weibliche Perspektiven auf die Darstellbarkeit von Gewalt“ hin zu untersuchen, will sich bei dieser Morphologie der Geschlechtsperspektiven nicht so recht einstellen. Vom Bühnenbild und Technikeinsatz gesehen, ist das ein durchaus interessantes Verfahren, dem sich die Schauspielerin dienstbar unterwirft. Bisweilen mag das etwas manieriert wirken, was aber der großartigen Leistung von Nele Rosetz bei der Interpretation dieses eigenwilligen Textes keinen Abbruch tut.



Juli in Theaterdiscounter Berlin | Foto (C) Agathe MacQueen

Stefan Bock - 18. Mai 2019
ID 11420
JULI (Theaterdiscounter Berlin, 16.05.2019)
Regie: Leo Skverer
Ausstattung: Agathe MacQueen
Musik/Sound: Martin Hachmann
Dramaturgie: Marcus Peter Tesch
Produktion: Theaterdiscounter
Mit: Nele Rosetz
Uraufführung in Moskau war 2007.
TD-Premiere: 16. Mai 2019.
Weitere Termine: 18., 19.05.2019


Weitere Infos siehe auch: https://theaterdiscounter.de/


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