Kleiner
Totentanz
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Nacht ohne Sterne von Bernhard Studlar am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Walter Benjamin hat einmal gesagt: „Die Ideen verhalten sich zu den Dingen wie die Sternbilder zu den Sternen. Das besagt zunächst: Sie sind weder deren Begriffe noch deren Gesetze.“ Was eigentlich bedeutet, sie haben nicht sehr viel miteinander zu tun, die Sternbilder mit den Sternen und die Ideen mit den Dingen, wenn man die Dinge für das wahre Leben nimmt. Soviel zum philosophischen Teil von Nacht ohne Sterne, dem neuen Stück des österreichischen Dramatikers Bernhard Studlar, das man nach erstem Lesen leicht unterschätzen könnte, wäre da nicht die Idee, die besagte Nacht ohne Sterne auch als allgemeine Krise der Gesellschaft zu begreifen.
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Bernhard Studlar ist am Schauspiel Leipzig kein Unbekannter. Sein Stück Die Ermüdeten oder Das Etwas, was wir sind wurde hier im Jahr 2015 in der Regie von Claudia Bauer uraufgeführt. Sein neues Stück Nacht ohne Sterne erlebte seine Uraufführung 2017 als Auftragswerk am Nationaltheater Bratislava. Die Deutsche Erstaufführung besorgte nun Hausregisseur Gorden Kämmer wieder in der Diskothek am Schauspiel Leipzig.
Man hat es hier mit einer Art kleinem Totentanz oder Reigen zu tun, orientiert an Arthur Schnitzler aber auch an Ödön von Horváth. Ein ganz heutiger Text, der sich anhand von persönlichen Schicksalen zwischen Liebesbeziehungen, Alltagsängsten und ökonomischen Zwängen bewegt und auch am Rande die gesellschaftlichen Verhältnisse streift. Während in einer Stadt der Lärm von Straßendemonstrationen (für oder gegen was auch immer) ins Private drängt, verketten sich die Schicksale einiger Menschen, die der reine Zufall oder ihre mehr oder minder verkorksten Beziehungen zusammenführen, zu kleineren bis größeren persönlichen Katastrophen, in denen auch der personifizierte Gevatter Tod eine Rolle spielt.
Das klingt zunächst recht fantastisch, ist es dann aber zumindest im relativ einfach gehaltenen Text von Studlar gar nicht so sehr. Eher ganz realistisch wird hier anhand von Alltagssituationen der normale Existenzdruck eines jungen Ehepaars beschrieben. Schon im ersten Gespräch zwischen der Frau, die ihr Kind zu spät aus der Kita abholt, und deswegen in einen Streit mit der Kindergärtnerin gerät, offenbart sich die zwischenmenschliche Härte einer an der reinen Ökonomie orientierten Gesellschaft. Der spielsüchtige Mann der Frau hat Schulden bei einem Kredithai, der ihn drangsaliert und erniedrigt, woraufhin er ihn in einer Kurzschlussreaktion tötet. Das Stück bewegt sich nun im klassischen Reigen von einer Person zur nächsten, über das Krankenhaus, in das der verletzte Kredithai, von einer jungen Schauspielerin gefunden, eingeliefert wird, und auch ein krebskranker Vater, seine Tochter und eine überarbeitete Notärztin sich ihre Probleme erzählen, weiter in die titelgebende Nacht.
Der ebenso an Zeitdruck leidende Tod kommt hier in Gestalt eines Haustechnikers, der den Kredithai holt, dem die Ärztin um Erlösung bittenden Vater einfach das verschraubte Fenster öffnet und sich wie ein alter Freund neben dessen traurige Tochter auf eine Bank setzt. Das ist trotz Anleihen bei Der Tod und das Mädchen von Matthias Claudius recht unsentimental erzählt. In einer Kneipe treffen dann die einsam umherlichternder Gestalten zu einer Art Showdown zusammen. Und nach durchzechter Nacht, „auf den Scherben der Stadt“ und den Beziehungen der Menschen, kann der alltägliche Todesreigen von neuem beginnen.
Die fehlende Poesie von Studlars Text will die Regie durch ihre traumversunkene, recht düster gehaltene Inszenierung und Bühne sowie den Fantasiekostümen von Josa Marx, der auch schon für Ersan Mondtag gearbeitet hat, wettmachen. Regisseur Gorden Kämmerer setzt dem melancholisch sarkastischen Ton von Studlar noch einen drauf und verortet das Ganze gleich im Reich der Toten. Wie geifernde Zombies bewegen sich die in schwarz oder weiß gekleideten bzw. geschminkten SchauspielerInnen. Die Kostüme mit Spitzhüten und Pestnasen erinnern an mittelalterliche Gewänder, venezianischen Karneval oder Helloween.
Eine entscheidende Figur im Stück ist die amerikanische Freiheitsstatue, die vom Sockel gestiegen ironisch die Fackel der Aufklärung hoch hält, während es in den Gesprächen der ProtagonistInnen um das ganz persönliche Glück oder ein besseres Leben geht. Als einen Friedhof der Träume bezeichnet der Barmann, eigentlich Ehemann der Kindergärtnerin, der eine Affäre mit der Schauspielerin hat, das Leben, das nie das ist, was man eigentlich gern führen wollte. Und die Welt ist im Arsch, wie man selber auch.
Wie der Tod mit Spitzhut und -händen ist die Freiheitsstatue Fantasiegestalt wie auch Sinnbild einer kaputten Konsumwelt. Eingewickelt steht sie in einem Glaskubus mit spinnwebartig verkleideten Seitenwänden, um den der Totentanz der Figuren kreist, und dient auch in verkleinerter Version als Telefon und 50€-Schein. In einer Videoprojektion über dem Kubus hält sie ihren Monolog vom „Dreiklang des guten Lebens“. Diesem tragikomischen Weltschmerzzynismus Studlars baut Kämmerers Inszenierung das passende Totenhaus.
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Nacht ohne Sterne am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 21. April 2019 ID 11366
NACHT OHNE STERNE (Diskothek, 20.04.2019)
Regie: Gordon Kämmerer
Mitarbeit Bühne: Louise Robin und Nane Thomas
Kostüme: Josa Marx
Komposition: Friederike Bernhardt
Video: Katharina Merten
Dramaturgie: Georg Mellert
Licht: Jörn Langkabel
Mit: Wenzel Banneyer, Anne Cathrin Buhtz, Alina-Katharin Heipe, Andreas Herrmann, Daniela Keckeis, Tilo Krügel, Dirk Lange, Denis Petković, Marie Rathscheck und Katharina Schmidt
Uraufführung in Bratislawa war am 25. März 2017.
Premiere am Schauspiel Leipzig: 20. April 2019
Weitere Termine: 27.04. / 02.05.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-leipzig.de
Post an Stefan Bock
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