Krankheit
als Fluch(t)
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Der eingebildete Kranke am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Der eingebildete Kranke, eine von Molières berühmtesten Komödien, hat eine prominente Bühnengeschichte. Schließlich spielte Molière 1673 bei der Uraufführung selbst die Hauptrolle. Es ist schon ein bezeichnendes Faszinosum, dass er bei Verkörperung des Titelhelden "live" gestorben war - er erlag nämlich (noch im Kostüm steckend) nach der vierten Aufführung einem Blutsturz.
Am Theater Bonn inszenierte nun Simone Blattner Molières letztes Stück in einer neuen Bearbeitung von Martin Heckmanns, welcher den Molière-Text von einigen Nebenfiguren befreite und sodurch die Stückhandlung mehr zuzuspitzen wusste.
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Der ungeduldige Patient Argan (Daniel Stock) kommt aus privilegierten Verhältnissen. Er begibt sich mit gefügiger Strenge in fragwürdige und überteuerte Therapien. Es gilt zahlreiche reale oder auch eingebildete Leiden zu lindern. Um sich eine dauerhafte ärztliche Versorgung zu sichern, will Argan seine Tochter Angélique (Sandrine Zenner) an Thomas (Christoph Gummert), den Sohn seines Hausarztes (Holger Kraft), verheiraten - der wiederum hatte gerade selbst einen Doktor der Medizin erworben und könnte den Schwiegervater jederzeit bedenkenlos aufsuchen. Doch Angelique weigert sich, dem Wunsch ihres Vaters nachzukommen, da sie sich vor ein paar Tagen in Cléante (Gustav Schmidt) verliebt hat. Argan gerät nicht nur in den Konflikt mit seiner Tochter, auch seine zweite Frau Béline (Lena Geyer) ist nicht erfreut. Sie möchte Angelique lieber in die Obhut eines Klosters geben, damit sie selbst alleine erbberechtigt ist. Die clevere Hausangestellte Toinette (Annika Schilling) durchschaut die unguten Verwicklungen. Sie verbündet sich mit Angelique und setzt alle Hebel in Bewegung, um Argan aus seiner selbstverschuldeten Agonie zu holen.
Daniel Stock strauchelt als Argan zu Beginn übertrieben gekrümmt mit einem Nachttopf über die Bühne. Zur rechten und linken Seite befinden sich weiße Türen und einige Desinfektionsspender, an denen sich die Figuren vielfach bedienen (Bühne: Martin Miotk). Grüne Plastikstreifen decken einen nichtsichtbaren Bühnenbereich ab. Im Bühnenzentrum befindet sich eine klinisch weiße Fußgängerbrücke. Darunter liegen blaue Matten, auf die Argan bald liebevoll künstliche Seerosen platziert. Hier dient auch bald ein kleines Ruderboot den Figuren als Sammelpunkt.
Es ist herrlich, wie Stock als Argan an seinen Zweifeln, seinen Unsicherheiten und seiner Einbildung schier bis ins Unermessliche leidet. Übertrieben stellt er die anrührende Verzweiflung seiner Figur dar. Argan ist anfällig für irrationale Heilsversprechen, begibt sich in Spülungen und therapeutische Verordnungen. Er entwickelt nahezu einen Stolz auf die eigene Schwäche, Last und Empfindlichkeit. Stock stellt die Lächerlichkeit seiner Figur aus, die bald durch eine übertrieben große Fellmütze als Accessoire unterstrichen wird, ohne dass ihr Träger je aus der Rolle zu fallen droht.
Auch viele der übrigen Figuren werden durch Geldgier oder Selbstsucht charakterisiert, etwa Lena Geyer in der Rolle der erbschleichenden Béline. Es ist geradezu köstlich, wie die überzeichneten Figuren mit exaltierter Mimik und Gestik das absurde Geschehen vorantreiben. Nur Argans Schwester Béralde (Ursula Grossenbacher) bildet in dem überdrehten Geschehen einen Ruhepol der Vernunft, wenn sie versucht, auf den Bruder hinsichtlich der Verheiratung seiner Tochter einzuwirken. Auch das vorlaute und freche Dienstmädchen Toinette (Annika Schilling ausdrucksstark mit zerschlissener Strumpfhose, fettigen Haarsträhnen und geschwärztem Schneidezahn) mischt sich mit durchtriebener List in das Geschehen ein. Die Klassenverhältnisse werden zum Ende hin umgekehrt, wenn Argan auf ihren Wunsch hin erfolgreich die Kur annimmt, den Boden zu schrubben, um sein Unwohlgefühl zu überwinden. Ein poetischer Epilog aller Figuren erhebt schlussendlich einige allgemeingültige Zukunftsfragen. So werden gemischte Gefühle verlautbart, wenn es um die Bedienung des Menschen durch mögliche künstliche Intelligenz geht.
Der zeitlose Stoff lädt pointiert mit vielen Gags zum Schmunzeln ein. Liebevoll überzeichnete Figuren agieren mit großen Gesten und übersteigerten Rollenticks. Neben karikierenden Kostümen bedient sich Simone Blattners Inszenierung zuweilen auch eines überspitzten medizinischen Fachjargons, wenn beispielsweise durch Toinette die „anale Phase“ nach Freud aufgeworfen wird. Bisweilen eröffnet so eine recht flache und augenscheinliche Figurenkonstellation einen theatralen Spannungsraum mit ganz neuen Fallhöhen.
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Der eingebildete Kranke am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 4. Januar 2020 ID 11916
DER EINGEBILDETE KRANKE (Schauspielhaus Bonn, 28.12.2019)
Inszenierung: Simone Blattner
Bühne: Martin Miotk
Kostüme: Andy Besuch
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Musik: Christopher Brandt
Flötistin: Mona Raab
Besetzung:
Argan ... Daniel Stock
Toinette ... Annika Schilling
Angélique ... Sandrine Zenner
Béline ... Lena Geyer
Béralde ... Ursula Grossenbacher
Cléante ... Gustav Schmidt
Doktor Purgon ... Holger Kraft
Thomas ... Christoph Gummert
Premiere war am 6. Dezember 2019.
Weitere Termine: 10., 15., 18.01 ./ 07., 21.02.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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