Sehnsucht nach
martialischer
Zerstörung
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Die Räuber am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
22jährig erlangte Friedrich Schiller mit seinem Theaterskandal Die Räuber über Nacht Berühmtheit. Das Drama über zwei sich voneinander entfremdete Brüder handelt vom Gestus des Aufbegehrens. Eine jüngere Generation lehnt väterliche Wertvorstellungen und althergebrachte Machtstrukturen ab. Junge Menschen stellen Autoritäten und Institutionen unversöhnlich auf den Prüfstand. Es ist die gefühlte Ohnmacht gegenüber den Mächtigen, die ihren Zorn anfacht. Die Räuber handeln von Wut, Perspektivlosigkeit und Verrohung. Am Theater Bonn bezieht Regisseur Simon Solberg das Drama auch auf unsere heutige demokratische Gesellschaft und ihre Bedrohung durch zunehmenden Populismus.
Graf Moor (Wilhelm Eilers) fällt es schwer, seinen beiden Kindern Zuneigung zu geben. Insbesondere Franz missachtet er beinahe gewohnheitsmäßig. Hilflos und ein bisschen verloren intrigiert Franz (Annika Schilling) deshalb gegen ihren Bruder Karl (Daniel Stock), indem sie Briefe fälscht und einen Vertrauten (Timo Kählert) zu folgenschweren Unwahrheiten anstachelt. Karl hingegen sucht sein Glück fernab der Familie. Er versucht mit seinen Räubern idealistisch neue Werte zu entwickeln und etwa das Vermögen im Dorf umzuverteilen. Doch seine Räuber schrecken schlussendlich auch vor Terror nicht zurück.
Viel Kunstnebel verbreitet sich in Solbergs spärlich beleuchtetem, recht reduziertem Bühnenbild. Dunkle und eckige Kastenelemente dienen multifunktional als Mauern, Schulbänke, Räubergruft oder Waldbäume. Scheinwerfer setzen flammenartig Akzente in der nachtschwarzen Szenerie.
Die acht Darsteller bewegen sich eingangs wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Gemeinsam sprechen sie Worte, die Franz Moors handlungsmotivierende Eifersucht auf den Bruder akzentuieren: Warum ist sie nicht als erste und einzige aus dem Mutterleib gekrochen? Schon Ersan Mondtag besetzte in seiner Inszenierung von Die Räuber 2019 Franz mit einer ausdrucksstarken Darstellerin. Auch bei Solberg wird die selbstherrliche Figur des Franz von einer Frau verkörpert. Annika Schilling mimt Franz als stets sich benachteiligt wähnende Tochter. Sie wagt auch über Leichen zu gehen, als sie ihre Zeit endlich gekommen glaubt. Daniel Stock entwickelt Karl, ihren anarchischen, widersprüchlichen und explosiven Widersacher, mit Verve. Er glaubt durch Schrecken die Welt verbessern zu können.
Die Darsteller agieren sehr physisch, wenn energiegeladen viel gezappelt wird. Takao Baba und Solomon Quainoo gestalteten eindrucksvolle choreographische Einlagen zu Sounds von The Prodigy („Smack my bitch up", „Breathe“) bis hin zu Billie Eilish („You should see me in a crown”). Gustav Schmidt rappt als Spiegelberg seinen Überfall auf ein Nonnenkloster im Gangster-Style. Er betätigt sich sogleich auch gekonnt als Breakdancer. Streetdance-Gesten und -Bewegungsabfolgen setzen Bezüge zur Gegenwart. Christian Czeremnych unterstreicht als Schweizer seine Erzählung der Befreiung eines Kumpans höchst gestenreich. Sein hymnisch-düsterer Verweis auf einhergehende Gewalttaten erinnert an das Musikgenre Heavy Metal. Annina Euling gibt die Amalia, die zwischen den Geschwistern steht, recht mädchenhaft und trotzdem ausgebufft. Schlussendlich wird das Ensemble auch noch durch zwei Schauspielstudierende der Alfterer Alanus-Hochschule verstärkt: Magali Vogel und Larissa Ruppert.
Die pausenlose, etwa hundertminütige Vorführung entwickelt ein hohes Tempo. Fremdtexte und gestrichene Passagen setzten Gegenwartsbezüge, insbesondere auch zum Freiheitsthema. Choreographische und körperliche Einlagen schaffen einen knallig-spektakelhaften Unterhaltungswert, wirken manchmal aber auch etwas aufgesetzt. Sie erschweren es mitunter, über Schillers diffizilen Botschaften nachzudenken. Insbesondere das souveräne Spiel der ausdrucksstarken Geschwister-Darsteller, Annika Schilling und Daniel Stock, die sich in ihrem maßlosen Eifer oft spiegeln, entschädigt für so manche Plattheit. Auch Simon Solbergs Ideenreichtum, etwa zentrale Passagen der Hauptfiguren synchron von mehreren Darstellern sprechen zu lassen, bereichert das Bühnenerlebnis.
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Die Räuber am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 11. Februar 2020 ID 11994
DIE RÄUBER (Schauspielhaus Bad Godesberg, 06.02.2020)
Regie und Bühne: Simon Solberg
Choreografie: Takao Baba und Solomon Quainoo
Kostüme: Sophie Peters
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Besetzung:
Der alte Moor … Wilhelm Eilers
Franz Moor … Annika Schilling
Karl Moor … Daniel Stock
Amalia … Annina Euling
Spiegelberg … Gustav Schmidt
Schweizer … Christian Czeremnych
Hermann Roller … Timo Kählert
Schwarz … Magali Vogel
Grimm … Larissa Ruppert
Premiere war am 31. Januar 2020.
Weitere Termine: 12., 14., 29.02. / 01., 07.03.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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