Ein Abend
über Einsamkeit
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Bewertung:
Sound und Lasershow vom Feinsten. Wo kriegt man das als normaler Theatergänger schon mal geboten? René Pollesch goes Friedichstadt-Palast. Das war Ende des Sommers die große Meldung in der Berliner Presse. Zusammen mit Fabian Hinrichs, mit dem er schon in der Volksbühne denkwürdige Abende wie Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang! oder Kill your Darlings! Streets of Berladelphia zeigte, hat Pollesch eine Stück über den Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt entwickelt. Das ließ aufhorchen, und so sind auch die wenigen Vorstellungen bis Januar 2020 bereits ausverkauft. Fabian Hinrichs tritt auf im Glitzer-Overall mit barocker Pumphose und Federkopfputz und erklärt erstmal das Prinzip von Breite und Tiefe der großen Bühne. Das hat gleich zu Beginn schon auch etwas tiefsinnigeren Witz.
Dabei lässt Hinrichs Polleschs berüchtigte Diskursschleifen hier mal ganz langsam drehen. Den flotten Tanz überlässt der immer noch nach Probenunfall mit Beinschiene bandagierte Schauspieler zumeist dem originalen Friedrichstadt-Palast-Ballett, das mit 26 TänzerInnen Choreografien aus der bekannten Vivid-Show und anderes wie Ravels Bolero zeigt. Aber auch zu einer nicht fehlen dürfenden Chorusline wirft Hinrichs dann schon mal die Beine hoch. Nicht so perfekt wie die Profis, aber der Wille zur Eleganz und „dass das gelingt“. Was genau, ist das Thema dieser kurzen 75 Minuten.
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Es handelt sich hier dann aber eher um einen lebensphilosophisch angehauchten Monolog eines auf den Straßen der Großstadt vereinsamten Mitvierzigers, der zunächst im melancholischen Gebetsmühlenton seine Kindheit und Jugend erinnert, als er sich als 6jähriger beim Streit der Eltern die Pulsader aufschneiden wollte oder als Jugendlicher mit Freunden im Auto zu Morrisseys Song "There Is A Light That Never Goes Out" abhing. Es geht also um so etwas wie ein fehlendes Zuhause-sein-Gefühl. Also nicht das, was man mit dem abgestandenen Wort Heimat verwechseln könnte, sondern um eine Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ob nun als Zweisamkeit mit Partner oder mit Freunden, spielt da erstmal gar nicht die große Rolle. Das mag zuweilen etwas sentimental klingen und schielt sicher auch auf das große Mainstreampublikum im Saal, aber das stößt der quirlige Entertainer mit Polleschs etwas schrägen Textabzweigungen zu Kleinkind-Kacke und Afterhaaren dann doch wieder etwas unsanft vor den Kopf. Umarmt wird hier aber auch im großen Stil. Zumindest als Versuch, bei dem Hinrichs verzweifelt durch die an ihm vorbeirennenden TänzerInnen irrt. Was der Titel des Abends aber auch suggeriert, ist der Glaube an die Hoffnung, dass es gelingen kann.
Auch wenn die Bühnentechnik des Friedrichstadt-Palastes mit Licht- und Lasereinsatz immer wieder ihre Muskeln zeigt, eine große leuchtende Showbrücke auffährt und Pink Floyd und Van Halen aus den Boxen dröhnen, wird das reine Unterhaltungsprinzip einer Revue doch immer wieder unterlaufen. Hinrichs spannt den Erzählbogen vom Kindheitstrauma eines prügelnden Vaters über Kafka auf Crack, Jean Genet, Dieter Bohlen und dem unglücklichen Daniel Kübelböck bis in die Gegenwart voller „schöner einsamer Menschen“, die sich im Supermarkt Telefonnummern zustecken. Man sieht TV-HD und macht Selfis, da sonst keiner da ist. Doch bei allem Eskapismus bleibt die Leere und das Gefühl „lebendig begraben zu sein“ daheim allein auf der Ledercouch. Eine Stadt und Plätze aus Stein, lauter Unorte. Eine „Welt, die so aussieht, als wäre man dahin entführt worden".
Der Sozialismus ging unter, als sich Helmut Kohl hier im Haus auf den Platz von Erich Honecker setzte. Wohl gemerkt: auf ihn drauf, wie Hinrichs weiß. Aber auch der Kapitalismus mit seiner „Verwertungslogik“ und die schöne Konsumwelt („Zalando ist doch kein Zuhause.“) bekommen ihr Fett weg. Und wenn selbst der Lufthansa-Chef gegen Inlandsflüge ist, da muss man doch stutzig werden. Alle utopischen Energien würden immer sofort abgesaugt, bemerkt Hinrichs empört. Er möchte einmal nicht einsam sein, ein Zelt kaufen und mit jemandem angeln gehen. Dazu kriechen alle unter große wallende Tücher. Zum Ende wird’s dann richtig schön kitschig, wenn Hinrichs vor Sternenhimmel am Seil schwebt und Céline Dion immer wieder zu "All By Myself" ansetzt. Da leuchtet noch mal das „Licht das niemals ausgeht“ als großer Hoffnungsschimmer. Zumindest darauf, dass René Pollesch und Fabian Hinrichs bald wieder im alten Stammhaus Volksbühne zu sehen sind.
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René Polleschs Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt im Berliner Friedrichstadt-Palast | Foto (C) William Minke
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Stefan Bock - 8. November 2019 ID 11796
GLAUBEN AN DIE MÖGLICHKEIT DER VÖLLIGEN ERNEUERUNG DER WELT (Friedrichstadt-Palast, 06.11.2019)
Autor & Regisseur: René Pollesch
Co-Regie: Fabian Hinrichs
Produzent: Berndt Schmidt
Kostümdesign: Tabea Braun sowie Stefano Canulli und Philip (mit den Kostümen aus der VIVID Grand Show Treacy)
Lichtdesign: Olaf Eichler
Sound: William Minke
Mit: Fabian Hinrichs und TänzerInnen der Palast-Compagnie
Premiere war am 9. Oktober 2019.
Weitere Termine: 10., 27., 04., 27.11. / 04., 11., 18.12.2019 // 15., 29.01.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.palast.berlin/
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