Schwappungs-
Orgie
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Božidar Kocevski als Tartuffe in Tartuffe oder das Schwein der Weisen am DT Berlin | Foto (c) Arno Declair
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Bewertung:
Auf dem Vorplatz des DT steht eine Bronzebüste von Max Reinhardt. Das Porträt des österreichischen Theaterregisseurs und ehemaligen Intendanten und Eigentümers des Deutschen Theaters Berlin wurde hier 1963 auf einem rechteckigen Sockel aus Beton aufgestellt. Für die Produktion Tartuffe oder das Schwein der Weisen (als Open Air) wird nahe dieser Büste ein ähnlicher Abguss der Titelfigur platziert. Diese Tartuffe-Skulptur wird im Stückverlauf schwarz bemalt und zerschlagen. Die klamaukige Vorführung handelt von der Bewusstwerdung in der Gegenwart, dem Wunsch nach Veränderung in Zeiten des Stillstands und der Ehrerbietung gegenüber alten Machthabern und neuen Hoffnungsträgern.
Der Indie-Pop-Musiker PeterLicht hat den Komödienklassiker des französischen Dichters Molière neu bearbeitet und übersetzt. Die Uraufführung [des Originals] 1664 auf Schloss Versailles im Beisein des Sonnenkönigs geriet zum Theaterskandal. Das Drama wurde aufgrund seiner Kritik an religiösem Heuchlertum verboten, und zwei frühe, heute verlorene Versionen fielen der Zensur zum Opfer. Damals durfte die dritte Version auf Geheiß des mächtigen Sonnenkönigs aufgeführt werden.
Jan Bosses trashig-zotige Inszenierung beginnt mit schrill-ausladenden Kostümen und einer illustren Gemeinschaft, die sich um einen reichen, zu Anfang noch abwesenden Mäzen versammelt. In künstlich in die Länge gezogenen Dialogen zanken sich die Figuren affektiert und albern über Nichtigkeiten. Man denkt an mögliche Huldigungen des Sonnenkönigs Ludwig XIV., der stets im Zentrum seines Hofstaats stand. Die Hofgesellschaft ist in leichter Aufregung. Denn wir erfahren von Pernelle (Regine Zimmermann), dass Orgon seine ungeteilte Aufmerksamkeit einer „Figur“ schenkt, die er neu in die Gemeinschaft aufnahm: Tartuffe. Je mehr sich die Gruppe auf der Bühne des Vorplatzes brüskiert, desto anzüglichere Posen macht dieser zunächst unbeteiligt schweigende Günstling (Božidar Kocevski) am weit geöffneten Fenster eines Seitenflügels. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist ihm sicher, denn er ist nur mit einem Slip bekleidet.
Orgon (Felix Goeser) tritt bald auch mit kurzen, die ihn umgebende Schar für sich einnehmenden Gesangsperformances auf. Er möchte, dass auch sein Hofstaat vor Tartuffe in die Knie geht und sich ebenso ergriffen für dessen Welt öffnet. Er bittet sein nur widerwillig fügsames Gefolge darum, sich an Aktionen seines neuen Schützlings zu beteiligen. Doch bei Atemübungen und Workouts im Ganzkörpersuit gehen abwegige Kommunikationspfade über Friktion, Reibung und erhabene Ständer oder den „totalen Abfuck“ weiter. Früh liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei Tartuffe nicht nur um einen verschrobenen Seminar-Guru, sondern gar um einen Sexschamanen handeln könnte. Tatsächlich kreist die Version von PeterLicht um allerlei Frivolitäten. Die Dialoge, die sich auch um den G-Punkt drehen, dehnen sich wie Gummi. Doch auch, wenn Linn Reuse als Dorine über Gutturalgeräusche klagt und das Themenspektrum auf Nasenhaarextensions bringt, wird die Nonsense-Kommunikation auf mögliche Verknotungen dieser Extensions und damit einhergehender Paar-Zusammenführungen zurückgelenkt. Sprachfiguren wie „Kontextualisieren“ verbrauchen sich, werden nahezu ausgeblutet, was wohl so beabsichtigt, aber für das Publikum nun mal ermüdend ist. Insbesondere die bedächtigen Monologe am Ende geraten arg lang. Sie schaffen es dann auch nicht mehr, das Geschehen auf eine höhere Bedeutungsebene zu bringen. Wäre dies überhaupt beabsichtigt gewesen? Trotz guter Darstellerleistungen gerät die Vorführung so allmählich zur Kleinkunst-Comedy, deren Stil sich zu schnell verbraucht. Was hätte Max Reinhard dazu gesagt, dessen Büste unzerschlagen auf die Inszenierung blickte?
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Tartuffe oder das Schwein der Weisen am DT Berlin | Foto (c) Arno Declair
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Ansgar Skoda - 26. August 2021 ID 13096
TARTUFFE ODER DAS SCHWEIN DER WEISEN (Vorplatz, 23.08.2021)
Regie: Jan Bosse
Bühne. Stéphane Laimé
Kostüme: Kathrin Plath
Musik, Komposition & Sounddesign: Carolina Bigge und Arno Kraehahn
Licht: Marco Scherle
Dramaturgie: David Heiligers
Mit: Regine Zimmermann (Herr Frau Pernelle), Felix Goeser (Orgon), Natali Seelig (Elmire), Tamer Tahan (Damis), Kotbong Yang (Mariane), Moritz Grove (Cléante), Linn Reusse (Dorine), Božidar Kocevski (Tartuffe) und der Live-Musikerin Carolina Bigge
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 22. Mai 2021
Weitere Termine: 26., 27.08.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de
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