Männerfiguren zwischen Revolte, Resignation und Hoffnung (2)
LAZARUS
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Lazarus am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Ein wahrer Entertainer und gleichsam Dynamit ist Schauspieler Alexander Scheer, den Regisseur Falk Richter als Hauptdarsteller seiner Lazarus-Inszenierung besetzt hat. Scheer ist der außerirdische Newton, der vom Himmel gefallene Unsterbliche aus dem Roman The Man Who Fell to Earth von Walter Tevis, in dessen Verfilmung vom jüngst verstorbenen Regisseur Nicolas Roeg David Bowie 1976 die Hauptrolle spielte. 2015 (kurz vor Bowies Tod) haben er und der Autor Enda Walsh die Story nochmal als Musical wiederbelebt. Eine Fortsetzung des Stoffs natürlich mit viel Musik. Und dass Scheer singen kann, hat er ja nicht erst als Film-Gundermann bewiesen.
In besagtem Science-Fiction-Film spielt Bowie also einen Alien, der vom umweltzerstörten Planeten Anthea zur Erde geschickt wird, um eine große Rakete zu bauen und die Umsiedlung der Zurückgebliebenen vorzubereiten. Newton macht mit Patenten zur Energiegewinnung viel Geld und verliebt sich in das Mädchen Mary-Lou, zerbricht dann aber an der Rücksichtslosigkeit der modernen menschlichen Zivilisation und wird für medizinische Experimente missbraucht.
Zu Beginn der Fortsetzung Lazarus vegetiert der gescheiterte Newton als Gin-Trinker und TV-Junkie vor sich hin. Scheer thront dabei auf einem Plexiglasstuhl auf einem der Bühne vorgelagerten blitzförmigen Steg und zappt sich durch das terrestrische Fernsehprogramm, das auf mehreren Videoscreens vor ihm gleichzeitig läuft. Ein Zusammenschnitt aus Politik und Popkultur der letzten 50 Jahre. Talking Heads wie Nixon, Bush oder Popikonen wie Micky Mouse und der Straßenkampf von 68 bis ins heutige Hamburg der G20-Krawalle flimmern in medialer Reizüberflutung. Dazu röhrt Scheer den Titelsong Lazarus als rothaariges Bowie/Newton-Inkarnation. Auch die nächsten Minuten sieht man den Schauspieler eher als verpeilten Typen in Schlafanzug und Morgenmantel, der schon zum Frühstück Chips und Gin auf Eis zu sich nimmt und seinen Tagträumen nachhängt. Newton bezeichnet sich selbst als „Sterbender, der nicht sterben kann“. Ein „Imitationsmensch“, der sich eingerichtet hat zwischen Breaking News und dem nächsten Drink.
Dem Revoltejahr 68 bereits entwachsen war David Bowie eher der androgyne Gott des 1970er-Jahre-Glam-Rock und Schöpfer verschiedenster Kunstfiguren. Was wieder gut zu Karin Beiers König Lear passen würde. Und statt Manfred Mann solo auf dem Klavier gibt es (im Lazarus) gleich eine ganze Live-Band um die Hamburger Musikerin und Theatermacherein Bernadette La Hengst, deren Interpret und Glam-Rock-Gott in Person Alexander Scheer ist. In weiteren Sprach- und Gesangs-Rollen spielen u.a. Julia Wieninger als Newtons Assistentin Elly, die eine Wandlung (Changes) von der grauen Maus an der Seite des biederen Zach (Thomas Mehlhorn) zum Glamourgirl macht, oder Gala Othero Winter, die als namenloses Mädchen aus Newtons Träumen sich als verflossene Liebe Mary-Lou inkarniert und Newton antreibt, endlich das Raumschiff für die Rückkehr zu bauen. Vieles davon ist Hirngespinst, Imagination, Projektion. So auch der androgyne Killer Valentine als dunkle Seite Newtons. Bei Tilman Strauß eine Mischung aus Mephisto mit Stiletto-Klumpfuß und Frank N. Furter (aus der Rocky Horror Picture Show) im schwarzen Lederlook.
Textlich und szenisch ist der Lazarus nicht unbedingt immer eine Offenbarung. Auch macht Regisseur Falk Richter nicht allzu viel, vermutlich auch nicht allzu viel falsch, und geht damit sehr auf Nummer sicher. Ein paar politische Anspielungen wie etwa ein Pussy-Riot-Aufritt der Girl-Dance-Group im Fuck-Söder-T-Shirt reichen ihm. Die Eyecatcher sind die fantasievollen Kostüme von Andy Besuch und die Bühne von Kathrin Hoffmann, die sich drehend mal einen kahlen Pappmaché-Felsen, mal eine bunte Märchenwaldwelt zeigt. Letztendlich machen die Bowie-Songs wie "Absolute Beginners", "This Is Not America" oder "Where are we Now?" und am Ende schließlich der Welthit Heroes auch den Abend aus, bei dem es vorrangig um so klassische Themen wie Liebe, Hoffnung und Erlösung geht. Bowies künstlerisches Vermächtnis halt.
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Das Hamburger Schauspielhaus zeigt mit Lazarus - und König Lear - zwei gebrochene Männerfiguren zwischen Resignation und Hoffnung, die mit Edgar Selge und Alexander Scheer gut besetzt zumindest darstellerisch und musikalisch überzeugen können.
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Lazarus am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 1. Januar 2019 (2) ID 11124
LAZARUS (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 28.12.2019)
Regie: Falk Richter
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Andy Besuch
Musikalische Leitung: Alain Croubalian
Video: Chris Kondek
Videomitarbeit: Ruth Stofer
Licht: Hartmut Litzinger
Dramaturgie: Rita Thiele
Korrepetition: Martin Hornung
Vocal Coach: Jane Comerford
Besetzung:
Newton ... Alexander Scheer
Mädchen, später Marley ... Gala Othero Winter
Valentine ... Tilman Strauß
Elly ... Julia Wieninger
Zach ... Thomas Mehlhorn
Michael ... Yorck Dippe
Japanerin / Maemi ... Sachiko Hara
Ben ... Jonas Hien
Teenage Girls (Choreographie und Tanz): Ruth Rebekka Hansen, Johanna Lemke, Chris Scherer und Nina Wollny
Band: Sonja Beeh, Kay Buchheim, Hanns Clasen, Alain Croubalian, Bernadette La Hengst, Stephan Krause, Rebecca Oehms und Samantha Wright
Premiere war am 17. November 2018.
Weitere Termine: 13., 23., 24.01. / 03.02. / 02.03. / 21., 22.04. / 16., 17.04.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhaus.de
Post an Stefan Bock
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