Karrierist und
Clown der
Mächtigen
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Jakob Schmidt als Ministerpräsident in Mephisto am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Das Licht liegt zu Beginn noch auf den Zuschauerreihen. Mephisto (in Kooperation des BE mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst-Busch) ist ausverkauft. Einige Plätze bleiben trotzdem unbesetzt, vielleicht weil Besucher Dokumente für die 3-G-Regeleinhaltung nicht vorlegen konnten. Auf der Bühne unterhält sich zu Spielbeginn leise ein Schauspieler (Lennart Preining) mit einer Barkeeperin (Johanna Asch) am Tresen. Es geht um Theaterproben, nur Wortfetzen sind in den vorderen Reihen vernehmbar, wie Schauspielerinnengehalt und -wünsche. Regisseur Till Weinheimer hat in seiner Fassung von Klaus Manns Mephisto. Roman einer Karriere (1936) zahlreiche Momente eingebaut, welche das Geschehen hinter der Bühne illustrieren und das Publikumsinteresse effektvoll durchkreuzen. Hendrik Höfgen (nuanciert zwischen unscheinbar, ehrgeizig und weinerlich: Dominik Hartz) betritt gleich darauf die Bildfläche. Er spricht das Publikum direkt durch einen Verstärker an. Sein Blick gleitet über einzelne Zuschauer hinweg. Später wird er auf Anweisung hin lustvoll zu eingespielter Musik tanzen.
Das Bühnenbild von Sibylle Gädeke zeigt in der linken Ecke Garderobenspiegel mit Schminktischen und Theaterutensilien. An der hinteren Bühnenwand hängen rote Vorhänge, die sich für Vorführungen während der Inszenierung öffnen. Auf die geöffneten Vorhänge wird im Mittelteil unheilvoll ein leuchtendes Hakenkreuz projiziert. So wird kenntlich gemacht, dass die Vorführung zur Zeit des Nationalsozialismus veranstaltet wird. Eine zentrale Frage bleibt stets, ob Kultur sich von möglichen Vereinnahmungen des grausamen NS-Regimes freimachen kann.
Die Bühne stellt konsequent auch das dar, was sie ist. Mephisto spielt im Theatermilieu. Szenisch werden Theaterproben und Ähnliches dargestellt. Theaterleute reden über sich, ihre Arbeitsbedingungen, Konkurrenzangst, Angst vor dem Scheitern, ihr sich fortwährend einer Öffentlichkeit gegenüber Aussetzen-Müssen. Es herrscht auf der Bühne eine Spannung zwischen Künstlichkeit und Authentizität, wenn etwa Hendrik Höfgen die Figur des Teufels Mephisto aus Goethes Klassiker Faust oder Shakespeares Hamlet verkörpern soll. Höfgen schwankt als Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant zwischen Selbstzweifeln und Größenwahn. Auf den Weg zum Erfolg nutzt er zielstrebig Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten und Machthabern. Er steigt auf, doch stellen sich ihm stets aufs Neue existentielle Fragen, ob er etwa im autoritären System mitarbeiten oder dort aussteigen, Widerstand leisten oder sich anpassen soll. Könnte er über Leichen gehen oder gar sein Gewissen zum Schweigen bringen? Wird er ein Mitläufer, Spielball zur Zerstreuung und „Affe der Macht“ bleiben?
Jakob Schmidt hat einen starken Auftritt, wenn er als NS-Kulturmäzen machtvoll auf Wunsch seiner Frau (Wassilissa List) Höfgen protegiert und ihn gleichzeitig auch in seine Grenzen weist. Sein Gesicht bleibt furchteinflößend gefasst und gespenstisch ausdruckslos, wenn er an Höfgen herantritt, bewusst übergriffig mit behandschuhter Hand an dessen Oberkörper entlangfährt und ihm für seine treffsichere Darstellung des Mephistopheles dankt. Wassilissa List agiert köstlich als Gattin dieses Ministerpräsidenten von Preußen mit eleganter Garderobe, eingefrorenem Lächeln, gekünsteltem Lachen und konstant in dümmlicher Sekttrinklaune. Höfgen wird den NS-Kulturminister um Hilfe für eingesperrte und gefährdete Kollegen bitten. Der NS-Mann wird Höfgen beschimpfen, ihn als „Schwuchtel“ diffamieren und unter Druck setzen. Aus der privilegierten und trotzdem unsicheren Position Höfgens schöpft die Vorführung ihre Kraft. Leider bleiben andere Figuren, wie etwa die von Otto Ulrichs und Juliette recht farblos. Insgesamt jedoch eine spannende und lebendige Inszenierung, die auch durch gekonnte gesangliche Einlagen von Lennart Preining oder Johanna Asch überrascht.
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Johanna Asch (als Juliette) und Dominik Hartz (als Hendrik Höfgen) in Mephisto am Berliner Ensemble | Foto © Matthias Horn
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Klaus Mann (1906-1949)emigrierte 1933 aus Deutschland. Er veröffentlichte Mephisto 1936 in einem Exilverlag in der Emigration in den USA. Dabei hatte er die Karriere von Gustaf Gründgens vor Augen und verarbeitete mit Pseudonymen konkreten Zeitgenossen als Romanfiguren. Klaus Mann verband mit Gründgens in seiner Jugend eine innige Liaison. In seinem Roman verarbeitet er seine Verachtung dafür, dass Gründgens ab 1933, von führenden Nazi-Größen als "Nationalschauspieler" protegiert, im Dritten Reich Karriere machte.
Ganze Gerichtsprozesse ranken sich um den vieldiskutierten Roman, da Gründgens seinerseits viele Jahre erfolgreich gegen das Erscheinen des Romans in Deutschland klagte. Hintergrundwissen dürfte sich lohnen, da die meisten auftretenden Figuren auf realen historischen Personen beruhen. Höfgen oder Mephisto verharren während ihres Spiels in vieldeutigen Posen, scheinbar mit eigenen, unheilvollen Gedanken konfrontiert. So wird das Zwiespältige und Spannungsgeladene des künstlerischen Schaffens der Hauptfigur durch Vereinnahmung von Kultur und Theater zur Entstehungszeit der Vorlage eindrücklich zum Ausdruck gebracht.
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Ansgar Skoda - 29. August 2021 ID 13104
MEPHISTO (Neues Haus, 26.08.2021)
Regie: Till Weinheimer
Bühne/Kostüme: Sibylle Gädeke
Musik: Chris Weinheimer
Licht: Arnaud Poumarat
Dramaturgie: Karolin Trachte
Mit: Dominik Hartz, Wassilissa List, Lennart Preining, Johanna Asch und Jakob Schmidt
Premiere am Berliner Ensemble: 15. Juni 2021
Weitere Termine: 28.-30.09., 03.10.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de
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