Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Repertoire

Liebe, Ehre

oder gar nichts



Minna von Barnhelm am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück ist nunmehr über 250 Jahre alt. Das genau beobachtete Zeitstück von Gotthold Ephraim Lessing wurde bereits 1767 in Hamburg uraufgeführt. Eine starke Frauenfigur war damals eher eine Seltenheit in klassischen Texten. Die Heldin des Dramas ist eine wohlhabende Dame von Welt, die bürgerliche Ideale und Sehnsüchte über alle Prinzipien stellt. Die 1990 in Hamburg geborene Charlotte Sprenger landete u.a. bereits am Theater der Keller als Regisseurin von Clockwork Orange einen vielversprechenden und preisgekrönten Coup. Sie inszeniert Lessings Drama rasant, quietschbunt und klamaukig mit überdrehten Figuren, opulenten Kostümen und Bühnenbildern.

*

Zu Beginn betritt Major von Tellheim, ein ehemaliger preußischen Offizier die Bühne. Er ist der Verlobte Minnas. Tellheim hat im Siebenjährigen Krieg gedient und gewonnen. Als Kriegsversehrter ist er nun jedoch ein gebrochener Mann. Er hat sich zurückgezogen, ist verschuldet und enttäuscht von der Welt. Der einst stolze Major beklagt sein Schicksal. Sein Diener Just bemüht sich vergeblich ihn anzukleiden. Tellheim lässt sich auch von seinem früheren Wachmann Werner kein Geld leihen. Verbittert und depressiv kreisen Tellheims Gedanken stets darum, dass ihm grundlos Korruptionsvorwürfe gemacht werden. Er genoss früher einen untadeligen Ruf, nun fürchtet er um seine Ehre.

Alois Reinhardt fläzt sich (in dieser Rolle) oberkörperfrei mit Knieverband vor einer tristen, bühnenweiten und hohen Metallwand. Diese dunkle Bühnenwelt präsentiert sein karges und trostloses Innenleben, in dem Menschen austauschbar sind, Elend und Tod herrschen. Nun kollidiert jedoch alsbald diese Welt mit der von seiner Verlobten. Denn Minna machte sich nach dem Krieg mit ihrer Zofe Franziska auf den Weg, um ihren Major zu suchen. Sie findet ihn in einem Gasthaus in der Nähe von Berlin. Sie bezieht sein Zimmer, aus dem er als nicht solventer Gast gerade verwiesen wurde. Tellheim versteht nicht, warum Minna sich ihm weiterhin hingeben möchte. Er scheint gefangen in einer Welt, in der alleine die Offiziersehre zählt. So verbaut er sich systematisch sein Glück. Die irritierte und verletzte Minna fechtet spontan dieses Unglück an. Hierfür greift sie zu einer List. Indem sie behauptet, sie sei auch verstoßen worden und pleite, möchte sie Tellheim dazu bringen, wieder um ihre Hand anzuhalten.

Die Metallwand öffnet sich und gibt den Blick frei auf Minnas naive und grundlegend positive Lebenswelt, in der Überfluss herrscht. Die Bühne erscheint nun wie eine Zirkusarena, deren Inneres mit samtenen roten Vorhängen abhängt ist (Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović). Große bunte Luftballonbälle und –würste baumeln unter der Decke. Die Requisiten und Kostüme, die der Zuschauer hier vorfindet, erscheinen übertrieben ausladend. Eine ebenso überdimensionierte schwarze Plastikkatze wird hereingefahren. Diese Katze rollt mit den Augen, während Minna und Franziska die Bühne in weißen Kleidern betreten, die auf riesige Reifröcke gespannt sind. Bald legen die beiden ihre Reifröcke ab. Später tanzt Franziska auf Rollschuhen zu funkigem Jazz, während sich noch vier weitere Rollschuhfahrerinnen im Takt der Musik mit riesigen Schwellköpfen bewegen. Minna und Franziska knabbern alsbald an Salatköpfen. Die Zofe Franziska steckt ihren Kopf irgendwann in eine stachelige Kastanienschale und murmelt Unverständliches. In Minnas Welt ist alles leicht, fröhlich, überbordend und jungmädchenhaft. Bald singen Minna und Franziska mit vielen anderen zusammen auf einer Bettdecke platziert „Die Gedanken sind frei“, während Tellheim als Außenstehender alleine herumirrt.

Annika Schilling verkörpert ausdrucksstark eine eigenwillige, selbstbewusste und spielfreudige Minna, die gerne die Fäden zieht und offensichtlich behütet vom Eindruck des Krieges verschont blieb. Den demonstrativ sein Leid vor sich hertragenden Tellheim gibt Alois Reinhardt als jammernden Schreihals, der sich nur allzu bereitwillig von seinem fürsorglichen Diener Just (Christian Czeremnych) tragen lässt. Annina Euling ist als Kammerzofe stets um das Wohl ihrer Gebieterin Minna bemüht und umschwärmt diese. Sobald sie jedoch einen Moment für sich hat, interessiert sie sich geradezu mannstoll für die sie umgebenden jungen Herren. Bernd Braun mimt den Wirt schleimig-schnoddrig und süffisant im bodenlangen Glitzer-Pallettenkleid mit Wanst und Glatze. Auch Klaus Zmorek hat einen höchst komischen Auftritt im rosafarbenen Torerokostüm. Er stellt den ungeschickten und raffgierigen Höfling Riccaut de la Marlinière aus Frankreich dar.

Bald trägt Tellheim das überdimensionierte Reifrockkleid selbst wie ein Brautkleid, während Minna sich in ein schwarzes Gewand hüllt. Verlobungsringe werden erneut getauscht. Es gibt einige zotige Dialoge zwischen Minnas Zofe und Tellheims ehemaligen Wärter. Wenn letztere bald knutschen, sabbert der Winkekatze literweise Badeschaum aus dem Maul. Zum Heiratsversprechen zwischen Minna und Tellheim kommt es indes in Bonn nicht. Sie stehen sich zum Ende hin unversöhnlich gegenüber.

Die stark gekürzte Textfassung wird in Lessings Sprache beibehalten, was wohltuend ein wenig mit der poppig-bunten Inszenierung kontrastiert. Leider hat die etwa dreistündige Vorführung zähe Längen. Die Welt der Ehre Tellheims als auch die Welt der Liebe Minnas werden in ihrer exzessiven Intensität und Ausschließlichkeit recht infantil dargestellt. So gewinnt der Zuschauer wenig Verständnis für den Konflikt der Figuren, der ja realhistorisch und politisch durchaus Relevanz hatte. Die heitere Aufklärungskomödie um die Überwindung des Ehrbegriffs durch die Liebe lässt somit über weite Strecken trotz guter Darsteller emotional eher kalt.



Minna von Barnhelm am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 18. November 2019
ID 11825
MINNA VON BARNHELM (Schauspielhaus, 14.11.2019)
Inszenierung: Charlotte Sprenger
Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlovic
Licht: Markus Haupt
Dramaturgie: Nadja Groß
Besetzung:
Minna von Barnhelm … Annika Schilling
Major von Tellheim … Alois Reinhardt
Franziska … Annina Euling
Just … Christian Czeremnych
Paul Werner … Sören Wunderlich
Wirt … Bernd Braun
Riccaut de la Marliniere … Klaus Zmorek
Premiere am Theater Bonn: 12. September 2019
Weitere Termine: 29.11. / 20., 25.12.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

skoda-webservice.de

Neue Stücke

Premierenkritiken



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)