Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Repertoire

Wanderfroher

Spieltrieb



Jan Viethen und Maximiliam Gehrlinger (v.l.) in Wandersterne an der Vaganten Bühne | Foto © Stella Schimmele

Bewertung:    



„Home is where the heart is“, heißt es so schön. Ausgerechnet zwei junge Menschen aus dem gleichen Heimatdorf verlieren ihr Herz an das jiddische Wandertheater. Der Weg führt Reizl und Leibl weg von ihrem Schtetl. Sie treten als Neuzugänge einer Wandertruppe bei. Beide reisen von der Provinz in die Stadt, später in bedeutende Weltstädte wie London oder Paris. Reizl und Leibl verlieren sich früh aus den Augen. Sie erlangen in unterschiedlichen Straßentheatertruppen Weltruhm. Doch die Erinnerung aneinander führt sie in Amerika wieder zusammen.

Das fahrende Wandertheater diente bereits als Motiv in zahllosen romantischen Werken des 19. Jahrhunderts. Viele Dichter und Komponisten widmeten sich dem vermeintlich freien, nomadenhaften Leben. Auch der jiddische Schriftsteller Scholem Alejchem (1859-1916) fängt das Schicksal vagabundierender Künstler und ihre Heimatlosigkeit in einigen seiner literarischen Werke ein. Er emigrierte selbst 1905 aufgrund von Pogromen gegen Juden aus dem ukrainischen Odessa. Er reiste über viele unterschiedliche Stationen bis in die USA.

Bekannt wurde Scholem Alejchem für seinen Roman Tewje der milchiker (dt. Tewje, der Milchmann), das 1964 Vorlage für das Broadwaymusical Anatevka –Fiddler on the roof war und bis heute an den Theaterhäusern gezeigt wird. Sein Roman Blondzhende schtern (dt. Wandersterne, 1911) ist weniger bekannt. Dieser etwa 450seitige Schelmenroman über jüdische Künstler erschien zur Entstehungszeit von 1909 bis 1911 in jiddischen Zeitungen in Osteuropa und den USA.

*

An der Vaganten Bühne inszeniert nun Brian Bell mit Wandersterne Auszüge nach einer freien Adaption des jüdischen Autorenteams Sam Hunter und Julie Paucker. Die Vorführung findet wegen Regen nicht unter freiem Himmel statt. Die beiden farbenfrohen Rikschas, die als wichtigste Requisiten dienen, werden so vom jungen Darstellerquartett auf die Hauptbühne geschoben. Zuvor kann das Publikum an der Bühnenrückwand in einer sich wiederholenden Schleife Videosequenzen mit den Darstellern sehen. In den Videobildern machen die Wandersterne-Figuren mit ihren Rikschas sichtlich angeregt an unterschiedlichen Stationen in Berlin Halt.

Gleich zu Anfang wirkt Wandersterne gekonnt improvisiert, wenn die Figuren eingangs darüber diskutieren, wie jüdische Themen heutzutage in Berlin aufgegriffen werden können. Müssen Erzählungen eigentlich bei der Thematisierung von jüdischem Leben auch stets über den Holocaust oder Israel sprechen? Johanna Falckner ist als ehemaliges Ensemblemitglied vom Bonner Theater noch gut in Erinnerung. Jan Viethen und sie mimen die erfahreneren Leiter eines Wandertheaters, die bei Neuankömmlingen gepflegte Darbietungen einfordern und diese auch unerbittlich und berechenbar aburteilen. Maximilian Gehrlinger und Sarah Maria Sander wissen hingegen als Newcomer mit jugendlichem, noch unverbrauchtem und weltoffenem Charme zu gefallen. Es werden Schlager wie „Er gehört zu mir“ oder „Bei mir bist du schön“ und auch jüdische Volkslieder wie „Shalom Chaverim“ dargeboten.

Die Darsteller wechseln mehrfach ihre Rollen, was zu Anfang gut gelingt. Bald verliert sich das Vorgeführte aber zu sehr in Verästelungen. Es wird nicht nachvollziehbar, wie Leibl und Reizl so schnell zu den so erfolgreichen Künstlern Leo Rafalesco und Rosa Spivak heranreifen können. Ihre amourösen Verwicklungen werden temporeich in Szene gesetzt. Das Publikum erfährt im Stückverlauf, dass „God Bless America“, die inoffizielle amerikanische Nationalhymne, aus der Feder eines jüdischen Autors stammt. Der jüdische Einwanderer und ehemalige Flüchtling Irving Berlin komponierte den patriotischen Song 1918. Wir lernen auch, dass Erfolg und Ruhm nichts sind, wenn dabei Liebe und Phantasie abhandenkommen. Der insgesamt flotte Abend besticht trotz der eher dünnen Story durch schöne Bilder und kurzweilige und charmante Künstlerdarbietungen.



Johanna Falckner und Sarah Maria Sander (v.l.) in Wandersterne an der Vaganten Bühne
Foto © Stella Schimmele

Ansgar Skoda - 28. August 2021
ID 13100
WANDERSTERNE (Vaganten Bühne, 25.08.2021)
Regie: Brian Bell
Text: Julie Paucker & Sam Hunter
Dramaturgie: Julie Paucker
Bühne und Kostüme: Daniel Unger
Musikalische Leitung: Sarah Maria Sander
Mit: Johanna Falckner, Maximilian Gehrlinger, Sarah Maria Sander und Jan Viethen
Premeiere war am 19. August 2021.
Weitere Termine: 22.-24.09.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.vaganten.de/premieren/wandersterne


Post an Ansgar Skoda

skoda-webservice.de

Neue Stücke

Premierenkritiken



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)