Das Leben -
eine einsame
Minigolfbahn
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Stille Nachbarn am Bayerischen Staatsschauspiel | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
Die Bühne zeigt einen stilisierten Minigolfplatz. Vier Figuren, vier Bahnen, vier Lebenswege. Charlotte Grau, eine demenzkranke Frau, sitzt die ihr verbleibende Zeit auf ihren Koffern ab. Isabell, ihre Tochter, ist eingesperrt in ihr weißes Auto wie in einen Kokon. Leyla, Isabells Nachbarin, kreist um ihren Kühlschrank in einer Bodenwelle, Ibrahim, Leylas Lebensgefährte stolpert blind zwischen allen Stühlen herum. Im Lauf des Stücks kreuzen sich ihre Wege und verlieren sich wieder…
Da ist die demenzkranke Charlotte, eine verbitterte Frau, die ihrer Tochter Isabell das Leben schwer macht. Nicht nur, weil sie sich selbst allmählich abhanden kommt, und deshalb böse wird. Sondern weil sie die Tochter nie lieben, nie anerkennen konnte. Ein Trauma, das deren Leben prägt und das sie weitergeben wird.
Wie ihre Mutter im Wahn, so wird auch Isabell den Minigolfschläger wiegen wie ein Kind, vor allem aber damit um sich schlagen: die Genese von Fremdenfeindlichkeit? Zuvor aber trägt sie in der vergeblichen Hoffnung auf Liebe ihre Haut zu Markte. In einer berührenden Szene will sie ihrer Mutter mit einem Kinderfoto von sich eine Freude machen: als sie ihr Kleid öffnet, sieht man es eintätowiert auf ihrem Rücken. Die Mutter aber weist das Bild zurück.
Leyla dagegen wünscht sich eine Zukunft mit Ibrahim und einem Kind. Der Student aber glaubt ihr das nicht bieten zu können. Schließlich kam er „an der schweißnassen Hand“ seines verunsicherten, „unpassenden“ Vaters nach Deutschland. Hier war der Vater verstummt und „seine Stummheit das lauteste“, was Ibrahim im Leben je begegnet ist. Ibrahim fehlt zur Gründung einer Familie der feste Boden unter den Füßen.
Und der wird noch schwankender, als die Außenwelt in Form von nicht näher benannten „Ereignissen“ in diese unglückliche Lebens- und Wohngemeinschaft einbricht. Ibrahim, der als Übersetzer in den Migrantenunterkünften arbeitet, bekommt mit der Polizei zu tun. Auch die liebesbedürftige Isabell, die dem Paar ihre Freundschaft geradezu aufgedrängt hat, ängstigt sich nun auf einmal vor „dunklen Männern“. Es wird wieder still zwischen den Nachbarn. Man ist und bleibt sich fremd.
*
Die Autorin Azar Mortazavi ist die Tochter einer Deutschen und eines Iraners. Sie studierte bis 2012 Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, und schrieb schon während des Studiums Theatertexte. 2010 wurde sie für ihr Stück Todesnachricht mit dem Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis ausgezeichnet. 2012 bekam sie den exil-Dramatikerinnenpreis der wiener wortstätten zugesprochen. Stille Nachbarn ist (nach Urteile von 2014) das zweite ihrer Stücke, das am Residenztheater uraufgeführt wurde.
Ein lyrisches Drama, handlungsarm, dafür voll überzeugender Bilder, kongenial in Szene gesetzt von Aureliusz Śmigiel. Das Bühnengeschehen wird gegliedert von Chorgesängen, die sich aus dem off über die schwarzweiße Bühne ergießen wie das Licht aus Tausenden von Minigolfbällchen. Die Figuren, die gerade nicht miteinander oder aneinander vorbei reden, agieren simultan pantomimisch, ihren Seelenzustand, ihre Traumata geradezu verkörpernd. Nach der Pause kommt noch ein fünfter Akteur ins Spiel, der wie die anderen keine Chance hat: das gewünschte Baby kann nicht leben, es ist eine schmelzende Puppe aus Eis.
Das Schlusswort im traurigen Spiel dieser Leben hat der Chor: „Ein Augenblick bleibt unerhört zurück - beim Alten.“
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Stille Nachbarn am Bayerischen Staatsschauspiel | Foto (C) Thomas Aurin
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Petra Herrmann - 26. Januar 2019 ID 11171
STILLE NACHBARN (Marstall, 25.01.2019)
Regie: Aureliusz Śmigiel
Bühne + Video: Martin Eidenberger
Kostüme: Laura Yoro
Musik + Liedtexte: Torsten Knoll
Licht: Martin Feichtner
Dramaturgie: Andrea Koschwitz
Besetzung:
Charlotte Grau ... Barbara Melzl
Isabell ... Katrin Röver
Leyla ... Esther Schwartz
Ibrahim ... Bijan Zamani
Uraufführung am Bayerischen Staatsschauspiel: 25. Januar 2019
Weitere Termine: 29.01. / 12., 21.02.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de
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