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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Glücklich ist,

wer neben

sich steht



Passing - It´s so easy, was schwer zu machen ist von René Pollesch an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Was die Dramaturgin zur Einführung in diesen Abend eingangs sagte, glaubt man danach gerne.

Dass sie selten SchauspielerInnen erlebt hat, die vor einer Premiere so entspannt waren. Und das, obwohl bis kurz zuvor die Szenenfolge des Stückes nicht feststand. Befreit, leicht und schmunzelnd verlässt man den Ort des schrägen Geschehens, die Münchner Kammerspiele. Es sei denn, man hätte eine irgendwie zusammenhängende Handlung erwartet, sowas wie ein „Narrativ“ oder gar stringente Figuren. Aber nicht bei Pollesch, das wäre ein Fehler gewesen.

René Pollesch, auch in dieser Produktion Autor und Regisseur zugleich, will nun eben genau dies nicht bieten. Sprachversatzstücke, Zitate und Dialoge gehen aufs Munterste durcheinander und ineinander über. Und wenn einer auf der Bühne auch nicht mitkommt, dann sagt er eben: „Ich versteh das jetzt nicht.“ Macht nix. Es geht weiter im Text - oder im Bild, mit einer Videoprojektion, mit einem Song.

Als der Rautenvorhang sich hebt, wird erstmal eine riesige Spinne auf der Bühne heruntergelassen. Sie beherrscht das Bühnenbild und ist – so Pollesch - der Ausgangspunkt für seine assoziativen Textmontagen. Die Spinne - ein Bild der modernen Total-Vernetzung (es gibt – so Pollesch - nämlich nur noch zwei Arten von Menschen, eben die Vernetzten und die Isolierten). Dazu ein Symbol der Übergriffigkeit, der „mütterlichen“ Allmacht, die Geschichten und Schicksalsfäden spinnt, auch wenn sie nur aus Kaugummi sind. Mal schwenkt sie bedrohlich ihre langen Beine - der schwarz-weiße Katastrophenfilm Tarantula von 1956 lässt im Hintergrund grüßen. Mal schwebt sie zu „Sound of Music-Klängen“ über eine idyllische Bergszenerie, mal versammelt sie das Ensemble in ihrem korbartig geflochtenen Hinterleib, um zu räsonnieren. Dort kommen die DarstellerInnen vom Hundertsten ins Tausende.

Die großartige Katrin Angerer, Ex-Star der Berliner Volksbühne, schüttet in Pierrotkostüm und Kleinmädchenton Wortkaskaden aus über Gott und die Welt und mampft dazu Leibniz-Kekse. Sie verheddert sich in Kompliziertheiten: über den Kapitalismus, die Einsamkeit, den Optimismus, B-Movies und Gewerkschaften. Sie plappert vom Kampf der Theorien, der so spannend sei wie der Kampf der Leidenschaften und macht dazu große Augen. So, so. Es sekundieren: der sensible Damian Rebgetz, der so tut, als sei er ein rauhbeiniger Sheriff. Thomas Schmauser, der einen durchgeknallten Regisseur mit Parteiauftrag mimt. Benjamin Radjaipour theoretisiert zu apokalyptischen Steinschlägen elegant über das proletarische Theater der 1920er Jahre und die Schönheit bei Brecht, als sei er ein Kenner, während ein Syrer im Cowboy-Kostüm irgendwas arabisch Klingendes absondert, musikalische Wortwellen, aus denen nur ab und an das Wort „Volksbühne“ auftaucht. Doch Vorsicht! Einer kämpft gegen die Spinne wie Siegfried gegen den Drachen. Dafür wird er zum Liliputaner geschrumpft und muss sich vor dem Fauchen eines Kätzchens sowie dem Stiefel des überlebensgroßen Kollegen fürchten.

Unnötig zu sagen, dass das Leben anderswo stattfindet und der Sinn auch. Vor allem aber der „Tauschhandel von Gefühlen“, den man sonst zu sehen bekommt – auf der Bühne und überall. Wir wollen Emotionen erleben, die Schauspieler sollen liefern. Das ist bei Pollesch out. Thomas Schmauser, der „Regisseur“ erklärt: Außer dass er seinen Lebensunterhalt verdienen muss, hat ein Schauspieler keine persönlichen Gründe, um sich mit den Beziehungen und Konflikten von Figuren abzugeben, die er spielt. Und im Gegensatz zum „normalen“ Menschen, der dauernd auftritt, aber keine Ahnung hat, welche Rolle er spielt, weiß er, dass er nicht „ist“, sondern nur darstellt. Wobei gerade das Glück, ein anderer zu sein, ihn glücklich macht. „Authentizität“ ? Nicht möglich. Was man ehrlich anbieten kann, ist „Präsenz“.

In Passing gilt das auch für die Spinne [von Ausstatterin Nina von Mechow]. Kein naturgetreues Abbild, sondern eine Stahlkonstruktion mit vielen Scharnieren. Und diese Präsenz aller DarstellerInnen einschließlich des überdimensionalen orangefarbenen Achtbeiners macht an diesem Abend durchweg Spaß!

Wie war das noch gleich mit dem komplizierten Titel? A ja. Passing – das heißt hier: erscheinen als... doch es nicht sein. Warum nicht, tun wir doch alle jeden Tag, irgendwie und einfach so, meist ganz „easy“. Und sind wir nicht oft gerade dann glücklich, wenn wir „neben uns stehen“? Doch genug der Passing-Theorie, der Spielleiter warnt: „Passing, Passing....wir müssen aufpassen, dass wir nicht in Pasing hängen bleiben - und als Münchner Vorort durchgehen!“

Wer Sinn für Nonsense hat und sich an Kalauern freut, der gehe hin, „gehe durch“ und amüsiere sich.



Passing - It´s so easy, was schwer zu machen ist von René Pollesch an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Petra Herrmann - 9. März 2020
ID 12064
PASSING - IT´S SO EASY, WAS SCHWER ZU MACHEN IST (Kammer 1, 07.03.2020)
Inszenierung: René Pollesch
Künstlerische Mitarbeit: Max Bretschneider
Video: Amon Ritz und Ute Schall
Bühne und Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Charlotte Marr
Dramaturgie: Tarun Kade
Mit: Kathrin Angerer, Kinan Hmeidan, Kamel Najma, Benjamin Radjaipour, Damian Rebgetz und Thomas Schmauser
Uraufführung an den Münchner Kammerspielen: 29. Februar 2020
Weitere Termine: 24., 30.03. / 12., 19., 30.04.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-kammerspiele.de/


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