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Film-Spezial: Interview mit Lukas Stepanik

Zum Film: Gebürtig ||Zur Person: Robert Schindel || Film-Spezial: Interview mit Robert Schindel || Film-Spezial: Interview mit Lukas Stepanik

Interview mit Lukas Stepanik


Foto Copyright: Real Fiction Filmverleih
Kultura extra:
Robert Schindel und Sie sind schon lange befreundet und haben häufiger zusammengearbeitet. Wie haben Sie sich eigentlich kennen gelernt?

Lukas Stepanik:
Das war in Wien im Kaffeehaus. Wenn man in den näheren Dunstkreis von ihm gekommen ist, da musste man sich seine Gedichte anhören. Und so begann es. Der Robert war ein begeisterter Vorleser. Das war so Mitte der Siebziger Jahre. Dann hat er durch meine damalige Freundin mitgekriegt, dass ich mit Film zu tun habe. Der nächste Schritt war, dass er mir Dialoge vorgelesen hat. Und der übernächste, dass wir 1978 gemeinsam das Drehbuch für einen Fernsehfilm umgeschrieben haben. Wir haben seitdem sehr viel im Team gemacht.

Kultura extra:
Bei „Gebürtig“ war das dann eine sehr enge Zusammenarbeit.

Lukas Stepanik:
„Gebürtig“ war der erste Film, bei dem wir offiziell gemeinsam Regie machten. Ich kenne Teile des Romans „Gebürtig“ lange, lange bevor er erschienen ist. Die Gebirtig-Geschichte war ursprünglich eine eigenständige Filmerzählung losgelöst vom Roman. Da war vom Roman noch lange nichts in Sicht. Für uns war daher klar, wenn der Roman herauskommt, geht es an die Verfilmung.

Kultura extra:
In „Gebürtig“ gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen Opferkind und Täterkind. Robert Schindel gehört eher zu der Gruppe der Opferkinder, obwohl er genau genommen mittelbares Opfer war. Wie müssen wir Sie in dieses Bild einordnen?

Lukas Stepanik:
Ich bin kein Opferkind im Sinne von ‚jüdisches Opfer’ oder dass meine Eltern bedroht waren. Ich will mich auch nicht als Opferkind bezeichnen, nur weil mein Onkel als Widerstandskämpfer im KZ umgekommen ist, was ich erst relativ spät erfahren habe. Meine Familie ist größtenteils slawischer, tschechischer Herkunft, und Tschechen sind in Wien sehr viele vertreten. Die Tschechen waren bei den Nazis sehr schlecht angeschrieben, bei den Deutschen, aber auch bei den Österreichern, die sich als Deutsche gefühlt haben. Und Täterkind bin ich sicher nicht, weil es in meiner Familie keine „Täter“ gab.

Kultura extra:
Würden Sie sich als neutral einstufen?

Lukas Stepanik:
Nein. Irgendwann muss man sich Gedanken machen und dann auch eine Entscheidung treffen, auf welcher Seite man steht.

Kultura extra:
Hat die allgemeine Vergangenheitsbewältigung in Österreich wirklich erst Mitte der 80er Jahre begonnen?

Lukas Stepanik:
Jein. 1968 war in Österreich eine erste Welle, aber anders als in Deutschland. Da wurden in Österreich schon Fragen gestellt, aber in Deutschland wurden sie schneller und radikaler eingefordert. In Österreich ist das dann wieder ein bisserl eingeschlafen. Aber 1986 mit der ganzen Waldheim-Geschichte, obwohl man dem keine persönliche Schuld nachweisen konnte, kam die Frage der Verdrängung und des Umgangs mit der Selbstlüge und Staatslüge wieder auf.

Kultura extra:
Halten Sie die Aufarbeitung der Geschichte für notwendig?

Lukas Stepanik:
Die Frage wird in „Gebürtig“ beantwortet. Natürlich ist es wichtig. Jede Verdrängung auf dem Gebiet kann nur zu – vielleicht nicht ähnlichen – aber anderen Katastrophen führen.

Kultura extra:
Gilt das auch für die Täterkinder?

Lukas Stepanik:
Das gilt für beide. Die Täterkinder sind ja keine Täter, sondern Kinder von Tätern. Insofern sind sie in gewisser Weise auch Opfer. Der Konrad Sachs in der Geschichte ist auch Opfer, weil er mit seiner Geschichte nicht zu Rande kommt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass manche Opferkinder irgendwie zu Tätern werden, in der Umdrehung. Auch das soll’s ja schon gegeben. Ich habe unlängst etwas vom israelischen Militär gelesen, von einem militanten Menschen dort, der Thesen vertreten hat, die die absolute Umkehr sind. Das heißt nicht, dass man Israel als Ganzes kritisieren darf und soll, aber ist gibt Tendenzen, die aufgrund der eigenen Opferschaft durchaus Täterschaft evozieren.

Kultura extra:
Das Problem wäre demnach nicht gelöst, selbst wenn es irgendwann keine Zeitgenossen des Holocaust mehr gäbe?

Lukas Stepanik:
Die „Opfer“ und die „Täter“ sterben ja langsam aus, die wird es bald aus naturgegebenen Gründen nicht mehr geben. Was überlebt sind aber Folgewirkungen, Fehlschlüsse oder ideologische Verdrehungen. Eine Aufarbeitung des Themas ist daher unumgänglich.

Kultura extra:
Wie könnten solche Folgewirkungen aussehen?

Lukas Stepanik:
Es ist so wahnsinnig schwer, das kurz zu fassen, weil das natürlich eine unglaublich komplexe Angelegenheit ist. Man muss wahnsinnig aufpassen, dass man durch Simplifizierungen nicht wieder eine so einseitige Sichtweise produziert oder eine Gegenreaktion provoziert. Da ist man schon wieder in keinem Dialog, sondern im Pro und Kontra. Ich bin an sich ein friedfertiger Mensch. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Opfer oder Menschen, denen Schlimmes angetan wurde, sich sagen: So etwas darf mir nie wieder passieren! Als nächste Konsequenz kann das heißen: Es kann mir dann nicht wieder passieren, wenn ich entsprechend stark bin. Das kann dann möglicherweise wieder auf Kosten anderer gehen. Und das ist das Dilemma von Nahost oder eines der Dilemmata dort.

Kultura extra:
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Nahost ein?

Lukas Stepanik:
Die Palästinenser haben selbstverständlich ein Anrecht auf eigenständige Gebiete und die gezielte Tötung von Menschen ist abzulehnen. Trotzdem kann ich nicht ganz nachvollziehen, dass der UNO Sicherheitsrat just die Tötung von dem Herrn Rantissi so verurteilt. Dann müsste er bei jedem Bombenopfer in Jerusalem und Tel Aviv mindestens genauso aufschreien. Die Geschichte Israels, die Geschichte der jüdischen Antwort auf den Holocaust ist sehr komplex, muss auch sehr komplex sein. Man kann nicht davon ausgehen, dass jetzt alle Juden friedfertig sind. So lange die Existenzgrundlage für den Staat Israel nicht gegeben ist, wird es keinen entsprechenden Dialog geben und auch die Gewalt auf beiden Seiten nicht eingestellt werden. Mit der Ermordung von Rabin war die echte Dialogphase, die es zu dem Zeitpunkt ja gegeben hat, wahrscheinlich zu Ende.

Kultura extra:
Da gibt es wohl auf den Bau des „Verteidigungswalls“ auch keine simple Antwort?

Lukas Stepanik:
So ein Trennungswall ist natürlich völliger Wahnsinn und wahrscheinlich kontraproduktiv. Andererseits ist die Gefährdung durch Terror im Staate Israel riesig. Und die ist durch legale Mittel auch nicht zu stoppen. Also was macht man? Die Trennungsmauer und die Annexion von Gebieten ist abzulehnen, aber es ist nachvollziehbar, denn es hat sich nie ein Ende des Selbstmordkommandoterrors abgezeichnet. Also ich bin da ziemlich ratlos.

Kultura extra:
Die Vernichtungsangst ist ja eine ganz reale und liegt überwiegend im Dritten Reich begründet. Wie haben Sie die Dreharbeiten in Auschwitz erlebt?

Lukas Stepanik:
Als ich das erste Mal dort war, das war Gott sei Dank noch vor den Dreharbeiten, hat mich das körperlich und geistig mitgenommen. Die Imagination in Auschwitz selber, im Stammlager, in den Ausstellungsräumen, da sieht man hinter den Vitrinen die Schuhe, die Haare. Da kriegt man den ersten Eindruck von der Dimension, und zwar nur dort. Man kann es dann hochrechnen. Aber das Bild ist schon ziemlich heftig. Das zweite war dann, wenn man nach Birkenau geht, wo ja kein Museum mehr ist, wo das ehemalige Lager ist. In Auschwitz ist das Stammlager, das ist das ursprüngliche Lager, da sind die großen Backsteingebäude. In Birkenau war das Vernichtungslager, da waren die Baracken und die Gaskammern. Wenn man das Gelände betritt, hat es die Dimension einer mittleren Stadt. Auch wenn man auf dem Weg von einer Baracke zur anderen nichts ‚Neues‘ sieht, und auch die Rampe ist natürlich nur in der Vorstellung noch lebendig, wenn man sich vorstellt, was da passiert ist. Aber die Begehung, die Beschreitung dieses Territoriums, wenn man da normal durchgeht, das dauert mehr als einen halben Tag. Das ist riesig. Als wir dann nach Krakau zurückgefahren sind, ist mir das erst aufgefallen: wir sind fünf Stunden nichts als gegangen. Diese Begehung hat mir einen Eindruck von dem Ausmaß geliefert, wie viele Menschen dort umgekommen sind. Das hat mich persönlich betroffen gemacht. Das waren so viele, dass man sie gar nicht zählen kann, und das nicht wirklich begreifen kann. Aber leider ist es Faktum, dass über Jahre dieses Lager voll war. In der Nähe der Gaskammern gibt es eine Art Teich, wo die heiße Asche zum Abkühlen hineingeschüttet wurde. Man muss sich das vorstellen, man kann hineingreifen, und es ist nicht ein normaler Grund. Der Grund dieses Teiches ist die Asche. Wenn man also da hineingreift, greift man in den Tod.

Kultura extra:
Auschwitz liegt ja im heutigen Polen. Wie kam es, dass ausgerechnet ein polnischer Schauspieler die Rolle des deutschen Täterkindes bekam? Hat Daniel Olbrychski sich darum beworben?

Lukas Stepanik:
Der Olbrychski bewirbt sich nicht. Den will man haben. Ich kannte ihn schon vom Schubert-Film von Fritz Lehner. Damals habe ich mir gedacht, mit dem würde ich auch gerne einmal drehen. Damals war er jünger und sah sehr hübsch aus. Er war der blonde Alain Delon von Polen. Der war der polnische Superstar. Der schöne blonde Mann. Heute ist er älter und sein Gesicht trägt Spuren.
Ich war 1998 das erste Mal in Polen und damals habe ich ihm davon erzählt. Wir haben lange überlegt und uns gesagt, eigentlich müsste das ja ein Deutscher spielen. Der Robert und ich haben uns dann aber gefragt, wenn das ein Deutscher spielt, wer? Nächste Frage war, der ist vielleicht selbst in dem Dilemma. Wenn Götz George das spielt, ist das schlecht, dann spielt er ja teilweise seine eigene Lebensgeschichte und nicht den Konrad Sachs. Die Idee mit Olbrychski hat mehrere Ursachen. Erstens ist er ein toller Schauspieler, zweitens ist er nicht Deutscher und nicht Jude. Da gibt es jemanden, der ein bisschen von außen kommt, und sich die Figur erst aneignen muss. Er hat sich auf die Figur konzentriert.

Kultura extra:
Wie würden Sie „Gebürtig“ einbetten in die Reihe anderer Verfilmungen mit diesem Thema?

Lukas Stepanik:
Das Spezielle an „Gebürtig“ im Verhältnis zu anderen Filmen wie „Rosenstraße“, „Aimée und Jaguar“ oder „Nirgendwo in Afrika“ ist, dass bei denen irgendeine andere Geschichte im Vordergrund steht. „Gebürtig“ ist ein Film, der sich wirklich in das Thema hineinbegibt. Ich glaube, das ist einerseits die Stärke, möglicherweise aber auch die Schwäche von “Gebürtig“, dass er eben keine Zusatzgeschichte hat. Es gibt natürlich auch eine Liebesgeschichte und es gibt die Geschichte mit dem Prozess, aber im Grunde sind da die Geschichten im Hintergrund, das eigentliche Thema ist aber, wie es in der Gegenwart mit der sogenannten Bewältigung ausschaut. Es geht also um Gegenwartsbewältigung, nicht um Vergangenheitsbewältigung. Es geht nicht darum, ständig in der Vergangenheit zu wühlen, es ist wichtiger zu schauen, wie lebt man jetzt damit, wie geht man jetzt damit um. Das ist das Thema, das bei „Gebürtig“ im Vordergrund ist. Bei den anderen genannten Filmen dagegen stellt das Dritte Reich den historischen Hintergrund dar, vor dem die Geschichten spielen. Das ist ein anderer Zugang.

Kultura extra:
Wird die Auseinandersetzung mit dem Thema jemals aufhören können?

Lukas Stepanik:
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen fatalistisch. Nein. Denn Gewalt liegt in der Natur des Menschen. Also die Vorstellung von der Erde als Paradies, steht auch nur am Anfang der Bibel. Es dürfte aber auch eine immanente Sehnsucht nach dem Paradies geben.


Das Interview mit Lukas Stepanik führte Helga Fitzner April 2004
Weitere Infos siehe auch:
Zum Film: Gebürtig ||Zur Person: Robert Schindel || Film-Spezial: Interview mit Robert Schindel || Film-Spezial: Interview mit Lukas Stepanik





 

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